Umgang des Betroffenen mit der Erkrankung
Barbara Baysal sagt:
Also erst mal habe ich eine Phase durchlaufen, wo nichts möglich war. Ich konnte mir weder Hausschuhe kaufen, weil ich dachte: „Trag ich nicht ab.“ Oder Theaterkarten für ein halbes Jahr später, das war nicht machbar. Und ich habe irgendwann im Laufe der Zeit jemanden kennengelernt, durch einen Zufall im Krankenhaus über den Psychologen, durch den ich auch durch Zufall gekommen bin. Und derjenige hat sich mit mir über den Tod unterhalten. Wir haben lange Gespräche über Tod, Sterben und Leben und über Organisation von der eigenen Trauerfeier, über Bücher, Kübler-Ross in allen Variationen. Ich habe mir einen Film angeguckt im Kino von Lungenkrebspatienten in einem Hospiz in, ich glaube, Kanada. Oder wo war das? Und irgendwann habe ich für mich entschieden, wenn ich so weitermache, dann ist mein Leben wirklich vorbei, und habe gesagt: „So, jetzt erst recht“, und habe mich dann eigentlich auf den Weg gemacht und habe eigentlich fast alles umgedreht. Ich habe dann einen Kaufwahn gehabt und habe mir alles angeschafft, was machbar war, weil ich dachte: „Das wollte ich schon immer haben.“ Zum Glück hat die Phase irgendwann geendet, das war doch schon teilweise chaotisch. Also mein Kleiderschrank war dann so voll, ich hätte drei Jahre lang mich fünfmal am Tag umziehen können, ohne irgendwas Neues zu brauchen, und habe dann aufgrund auch der Selbsthilfe einfach meinen Weg gefunden. Ich musste mich dem Leben anvertrauen, ansonsten wäre ich tot gewesen, weil ich habe mich komplett zurückgezogen. Ich konnte nicht Fernseh gucken, kommt ja immer ein Film, wo jemand drin stirbt. Im Urlaub, Familienbesuch, wenn man wieder nach Hause fährt, sich verabschieden, war ja immer das Gefühl: „Ich sehe die nie wieder.“ Freunde, wenn die zu Besuch waren oder wir irgendwo, dieses Verabschieden, immer: „Es war das letzte Mal, ich sehe die nie wieder.“ Also man zieht sich immer mehr zurück. Und manchmal habe ich mir gedacht: „Eigentlich bin ich tot, wenn ich so weitermache.“ Mir hatte ein Arzt damals geraten: „Denke an den Tag, wo es dir am schlechtesten ging und nimm den als Nullpunkt. Und dann guck nach vorne, was du heute schon wieder alles kannst. Heute sind es vielleicht zwei Schritte, morgen sind es drei und übermorgen sind es fünf. Und nächstes Jahr läufst du vielleicht einen Marathon.“ Gut, Marathon werden wir nun nicht unbedingt laufen, aber das sind diese kleinen Schritte, einfach zu sehen, was kann man wieder oder was kann man alles noch. Das sind die kleinen Ziele, die man erreicht. Und ich mache das oft so an Konzertkarten fest, weil ich den Patienten damit auf dem Weg gehe, wenn die sagen: „Ach, das lohnt sich nicht. Und ich weiß nicht, ob ich fahren kann und ob ich das /“ Und da habe ich gesagt: „Mir ist das so gegangen, ich konnte die Konzertkarte nicht kaufen, weil ich Angst hatte, ich bin dann schon tot. Und dann habe ich mich geärgert, dass ich noch lebe und das Konzert stattgefunden hat ohne mich. Und das fand ich viel schlimmer.“ Und dann habe ich gesagt: „Also wenn, kauf die Karte, was damit nachher passiert, ist völlig egal.“ Es gibt wirklich eine Zeit der extremen Trauer, der Wut, Zulassen von extremen Ängsten und dann irgendwann nach vorne zu schauen. Eines ist mir immer noch geblieben, womit ich immer noch kämpfe, ach „kämpfe“ ist Quatsch, was ich immer noch nicht kann, sagen wir mal so, aufgrund der Zweiterkrankung, dass ich immer noch mit Licht schlafe. Ich brauche immer ein kleines Licht, damit ich, wenn ich die Augen aufmache, sofort sehe, wo ich bin. Das hat mir viel erleichtert, hat mir Ängste genommen und dazu stehe ich einfach. Und das ist, denke ich, was viele auch machen sollten, zu seinen Ängsten zu stehen, um damit anders umzugehen.
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