 
            Aus der Chemotherapie auf den Mount Everest
Der Achttausender als Belohnung
Die Diagnose „Darmkrebs“ im fortgeschrittenen Stadium kam für Bildhauerin und Bergsteigern Heidi Sand im Jahre 2010 völlig unerwartet! Am tiefsten Punkt in ihrem Leben, beschloss sie den höchsten Punkt der Welt zu erreichen. Nach ihrer Chemotherapie erfüllte sie sich ihren Traum und stand schon eineinhalb Jahre später auf dem Gipfel des Mount Everest (8.848 m). Im Gespräch mit Stephan Pregizer erzählt Heidi Sand wie es zu diesem außergewöhnlichen Vorhaben kam, welche Reaktionen es gab, wie ihre Krankheit ihr Leben beeinflusste und wie sie heute als CancerSurvivor lebt.
Das Interview zum Nachlesen
Einleitung:
Meine Damen und Herren, jeder Mensch hat eine ganz individuelle Geschichte und wer eine Krebserkrankung überstanden hat, hat eine ganz besondere. In unseren Gesprächen wollen wir das Licht und den Spot auf diejenigen lenken, die auf besondere Weise mit Krebserkrankungen umgegangen sind. Mut machen, “Ja” zum Leben sagen zu können. Anstöße geben, eine Krebserkrankung auch anders zu denken. Unser heutiger Gast vereint in ihrer Persönlichkeit künstlerisches und Abenteuerlust. Sie ist Bildhauerin und kam zum Höhenbergsteigen erst durch einen schweren Schicksalsschlag. Sie erhielt 2010 die Diagnose “Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium”. Als Mutter von drei Kindern resignierte sie jedoch nicht und kämpfte entschlossen gegen die Krankheit an. “Wenn alles gut ausgeht, besteige ich den Everest!” Es ging gut aus und sie erreichte ihr hochgestecktes Ziel, den Mount Everest, mit 8848 Metern. Sie hat ein Stück alpine Geschichte geschrieben, wie ich finde ein großartiges Stück.
Moderator: Herzlich Willkommen: Heidi Sand. Heidi, erzähl uns deine Geschichte. Wie war dein Leben vor der Krebserkrankung?
Heidi Sand: Ich war mit einer Leichtigkeit mit meinen Skulpturen beschäftigt, mit meinem Sport, mit meinen drei Kindern, die ich großgezogen habe und mit meinem Mann. Damals hatten wir noch einen Hund. Ja, das Leben war erfüllt.
Moderator: Wie kam es zu der Diagnose „Darmkrebs”?
Heidi Sand: Es war 2010. Im Mai stand ich auf dem Mount McKinley Ich war in meinem Element. Ich fühlte mich bärenstark. Dann kam es anders. Beim Abstieg fingen an mich Magenschmerzen zu plagen und kurze Zeit später, zuhause in Stuttgart, war ein Training nicht mehr möglich. Unweigerlich musste ich Montag morgens zum Arzt. Der wurde ziemlich blass, hat mich gleich dabehalten und am nächsten Morgen notoperiert. Der Tumor saß ganz am Ende des Darmes, es war wohl eine ziemlich knappe Geschichte. Er kam ein paar Tage später mit dieser Diagnose „Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium” zu mir ans Krankenbett. Mir hat das zunächst einmal komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich hab mit ihm gestritten, ich hab gesagt, er muss die falsche Akte in der Hand haben. Ich fühle mich eigentlich gut bis auf die Magenkrämpfe und ich dachte es wären irgendwelche Muskelverhärtungen. Er wiederholte dann nochmal die genaue Diagnose. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Auch zum allerersten Mal, dass ich komplett ohne Bodenhaftung in meinem Bett lag. Ich war dann geschwächt von der OP und hab erstmal nur geheult wie ein Schlosshund.
Moderator: Was war die größte Herausforderung in dem Moment, als du die Diagnose erhalten hast?
Heidi Sand: Im ersten Moment war es die nächsten Minuten zu überleben, mit dieser Nachricht, mit der man bombardiert wird. Mit der man so überhaupt nicht rechnet. Ich war damals mit meinen 43 Jahren wirklich kein Kandidat für Darmkrebs. Ich war in meinem Leben noch nie übergewichtig, hab immer relativ viel Sport gemacht und mich gesund ernährt. Es hat auch definitiv eine Weile gedauert, bis ich wieder klar denken konnte. Am Anfang ist man wirklich wie im Nebel und hofft, dass die Tür aufgeht und der Arzt sagt „Sorry, wir haben uns getäuscht”.
Moderator: Wann realisiert man, Heidi, dass die Tür nicht aufgeht? Dass da keiner reinkommt und sagt, ich hab mich getäuscht als Arzt?
Heidi Sand:
Als man dann definitiv über Therapiemaßnahmen gesprochen hat. Da fing ich das erste Mal an zu realisieren, dass ich die Sache – die Krebserkrankung – angehe, wie ich eigentlich eine Bergtour plane. Welcher Berg ist es überhaupt? Wie kommt man dorthin? Wie kommt man wieder zurück?
Moderator:
Welche Jahreszeit?
Heidi Sand:
Welche Jahreszeit? Welche Kleidung braucht man? Das war die Zeit, als ich es akzeptiert habe. Wo ich es angenommen hab. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Mit was kann ich mich identifizieren? Welchen Weg will ich für mich gehen? Wie organisiere ich den Haushalt, meine Kinder, mein Atelier, die Workshops, die ich hatte?
Moderator:
Heidi, ich habe einen Auszug aus einem Buchtext mitgebracht, den würde ich dir gerne vorlesen. „Als wären Angst und das Gefühl der Machtlosigkeit nicht schlimm genug, fängt auch der Körper an verrückt zu spielen. Haare fallen aus. In vermeintlich unpassenden Momenten fließen Tränen. Manchmal steht auch die ein oder andere Freundschaft, oder die Beziehung auf dem Spiel.” Sind das Dinge, die dir bekannt vorkommen?
Heidi Sand:
Meine Gefühlswelt hat komplett verrückt gespielt. Ich musste wahnsinnig oft weinen, ohne einen Grund zu nennen. Es sind einfach dann Bereiche, wo man sich selber nicht mehr im Griff hat, die durch die Veränderung nicht mehr greifbar, spürbar waren. Und dann sitzt man in der Chemotherapie. Man schläft viel, man liest. Ich war zur Ruhe gezwungen. Und da kam zum ersten Mal so eine Vision auf: Wenn ich das hier überlebe, dann will ich mich mit einem Achttausender belohnen.
Moderator: Belohnen?
Heidi Sand: Belohnen! Mir wurde relativ schnell klar, ich brauche ein Ziel. Und das ist dann in diesem Fall keine neue Handtasche oder sowas gewesen und dann war der Gedanke mal da und dann hat er mich nicht mehr losgelassen.
Moderator: Das heißt, du warst im Grunde am tiefsten Punkt deines Lebens und wolltest zum Höchsten Punkt der Welt. Heidi, welche Reaktionen hast du von deinem Mann, von deinen Kindern, von deiner Familie aber auch von deinen Freunden und Nachbarn bekommen?
Heidi Sand: Ich glaub die kennen mich! Ich hatte schon früher, in einem anderen Ausmaß, ähnlich verrückte Ideen (lacht). Und mein Mann natürlich gleich „Was soll’s denn kosten?”, er ist ja Schwabe. Und dann, und das ist für mich nochmal so ausschlaggebend, mit diesem Ziel, mit diesem Traum lief ich auf Hochtouren. Ich fing an dann während der Chemotherapien wieder Sport auf leichtem Niveau zu treiben. Ich bin während der Chemotherapie wieder Joggen, Laufen gegangen.
Moderator: Was haben denn deine Ärzte gesagt, als du denen gesagt hast „Wenn ich hier raus bin, wenn ich hier fertig bin in sechs Monaten, bin ich auf dem Everest”?
Heidi Sand: Ja, ich hatte nicht nur Befürworter für mein Projekt, ich hatte auch viele, wo ich kämpfen musste oder mich rechtfertigen musste. Ihnen war es einfach nicht klar, wie man glücklicherweise den Krebs besiegen kann und sich dann freiwillig in so eine Gefahr begibt.
Moderator: Heidi, wie wurde denn dann aus dem Wunsch die Realität?
Heidi Sand: Ich kam nach Katmandu, in eine ganz andere Welt. Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Man merkt sofort man taucht ein in eine ganz andere Kunst, in eine ganz andere Kultur, in eine andere Religion. Und das alles war über mir, wie ein toller Bogen, der sich gespannt hat.
Moderator: Mit welchen großen Herausforderungen hattest du zu kämpfen?
Heidi Sand: Man fragt sich immer wieder: Ist man der Sache gewachsen? Technisches: Schaffe ich es tatsächlich bis oben? Wie reagiert mein Körper nachher oben, über 7000 m Höhe, über 8000 m Höhe? Man hat keine Erfahrung. Das ist das Ungewisse, was man bis oben mit sich trägt. Das weiß man erst am Schluss eigentlich.
Moderator: Also die Ungewissheit, was kommt auf einen zu. Kannst du Parallelen zur Diagnose „Frau Sand, Sie haben Darmkrebs” feststellen?
Heidi Sand: Es ist diese Ungewissheit, die bei jedem von uns im Leben jeden Moment zuschlagen kann. Es kann das Gesundheitliche sein, es kann eine Umstrukturierung im Berufsleben sein, im Alltag. Sofort, wenn man Sachen hört die man nicht hören will.
Moderator: Dann kam der 23. Mai 2012 und ihr seid aufgebrochen zum Gipfel des Mount Everest.
Heidi Sand: Wir waren irgendwie wie Rennpferde, die endlich starten wollten (lacht). Man will endlich los, nach über 6 Wochen Leben in dem Basislager. Man will los. Wir hatten einen zuverlässigen Wetterbericht, der sagte 5 Tage lang stabiles Wetter. Nicht zu kalt, keine Winde, kein Niederschlag. Mitten in der Nacht zieht man los, ist völlig mit sich selbst beschäftigt, seinen Gedanken Schritt für Schritt. Es ist immer noch die Ungewissheit bei einem, ob man es bis zum Gipfel schafft. Es gibt noch diese Schlüsselstelle, an dieser Etappe zu bewältigen: der Hillary Step. Ich hab nach dem Hillary Step kurz innehalten müssen, damit sich mein Puls wieder etwas beruhigt. Und dann hab ich es das erste Mal realisiert: Wow, das wird ziemlich sicher was mit dem Gipfel! Und am Gipfel -unweigerlich- die Tränen flossen. Es war um 4 Uhr morgens, noch stockdunkel, die Sterne zum Greifen nahe. Und da wurde es mir auch nochmal bewusst, es war wirklich eineinhalb Jahre her, nach meinem tiefsten Tief, jetzt auf dem höchsten Punkt der Welt -auf dem Dach der Welt- stehen zu dürfen. Da sieht die Welt gigantisch friedvoll aus. Wir haben dann den Sonnenaufgang miterlebt und das war das schönste Naturschauspiel, was ich je erlebt hab. Der Everest hat dann noch im ersten Morgenlicht einen Schatten geworfen und da wurde es mir gleich klar: Wow, ich will mit dem Höhenbergsteigen weitermachen. Es war so ein einzigartiger Moment. Ich war dankbar, dass alles geklappt hatte. Ich bin heute noch dankbar.
Moderator: Hast du denn dann – natürlich an deinen Mann gedacht, an deine Kinder – aber hast du da auch an deinen Arzt gedacht oder an die Nachbarn, die gesagt haben sowas macht man doch nicht.
Heidi Sand (lacht): Beim Abstieg dann, ja. Beim Abstieg natürlich.
Moderator: Hast du denn die Berge deinen Kindern gewidmet, deinen dreien?
Heidi Sand: Ja, da das alles so gut gepasst hat und wo ich vom Everest zurückkam, hab ich gesagt, ich würde gerne jedem meiner Kinder einen Achttausender widmen. Und mein Mann hat jetzt im Dezember die Eiger-Nordwand bekommen.
Moderator: Gab es auch den Gedanken unterwegs „Ich schaffe das nicht”?
Heidi Sand: Ich war nicht an meiner Grenze. An wirkliches Aufhören habe ich nie gedacht, nie.
Moderator: Was würdest du anderen Krebskranken raten: Wie setzt man sich gute, aber vor allen Dingen auch erreichbare Ziele?
Heidi Sand: Zunächst ist es einfach gut, man sieht die Krankheit als Chance. Nicht als Bedrohung, sondern als neue Chance sich neue Ziele zu setzen, neue Wege zu gehen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Ziele sollten machbar sein, aber natürlich eine gewisse Herausforderung bedeuten.
Moderator: Also keine Überforderung, aber auch keine Unterforderung.
Heidi Sand: Genau.
Moderator: Sondern eine Herausforderung.
Heidi Sand: Und dann muss man in sich rein spüren. Es ist ja oft auch eine Mischung zwischen Wunsch, Ziel und Vision, was man so hat. Also nicht jeder, der mich jetzt gehört hat, muss sich das Ziel setzen, auch auf den Mount Everest zu steigen. Aber Ziele sollten machbar sein, weil sonst enden sie als Enttäuschungen, wenn sie nicht erreicht werden.
Moderator: Heidi, Hand aufs Herz, wie sehr und worin hat dich die Krankheit verändert?
Heidi Sand: Vorher habe ich funktioniert und fühlte mich in meiner Rolle auch sehr, sehr wohl. Jetzt mache ich die Dinge viel konzentrierter, bewusster, entschleunige öfters. Heidi Sand war immer für alle da. Ich bin da entschlossener geworden mal „Nein” zu sagen.
Moderator: Also Grenzen ziehen?
Heidi Sand: Grenzen ziehen, dieses „nein, mir ist es zu viel”, was mir früher nie über die Lippen gekommen wäre.
Moderator: Wie, Heidi, gehst du mit dieser neuen Klarheit um? Welche Reaktionen gab es?
Heidi Sand: Viele Veränderungen gab es im großen Freundeskreis, viele haben sich abgewandt. Wussten auch nicht, wie mit der Situation umgehen, waren überfordert.
Moderator: Giltst du als geheilt?
Heidi Sand: Die magischen 5 Jahre sind geschafft. Nach der letzten Untersuchung habe ich wirklich ein kleines Fest gemacht und wir haben gefeiert. Ja, wir haben eine neue Ära eröffnet sozusagen.
Moderator: Wie lautet dein Lebensmotto? Wie ist dein Credo?
Heidi Sand: Da muss ich jetzt weinen. Also eins ist mir ganz wichtig: Verliere nie deinen Humor, möge kommen was soll. Und das zweite, ein ernsteres: Akzeptiere dein Gestern und Heute und du kannst morgen wieder frei durchstarten.
Moderator: Hat dein Leben eine andere Qualität bekommen?
Heidi Sand: Es ist die Intensität, die anders ist, es ist das Bewusstsein, die Wertschätzung. Jeden Tag wo man aufwacht und es geht einem gut, was überhaupt das Wort „Gesundheit” bedeutet. Weil es ist wirklich das beste, das größte Glück was uns passieren kann ist, wenn wir jeden Tag aufwachen und wir gesund sind.
Moderator: Heidi, was macht einen CancerSurvivor aus?
Heidi Sand: Also wir kriegen ja keinen Stempel drauf, dass wir jetzt CancerSurvivor sind. Aber ich glaube, was uns Betroffene alle verbindet, ist, dass wir freier, gestalterischer mit unserem Leben umgehen. Man sieht nach einer geraumen Zeit die Sache wieder klarer. Man zieht es durch. Man weiß, man darf seine Träume verwirklichen und man ist selbst viel wert, man ist kostbar. Man muss sein Leben spätestens dann selbst in die Hand nehmen, wenn es so weit ist um zu überleben und auf eine gute Art zu überleben. Einen Cut machen, Schluss machen mit den Sachen, die mir nicht gefallen haben und ich kann offen sein für neue Dinge, die ich schon immer als Lebenstraum hatte.
Moderator: Heidi, wir sind am Ende unseres Gesprächs angekommen. Mir bleibt, mich ganz herzlich bei dir zu bedanken, dass du uns mitgenommen hast auf diese wunderschöne Reise, auf diese beeindruckenden Erlebnisse, die du uns geschildert hast. Und sage ganz herzlichen Dank. Wünsche dir viel Gesundheit, alles Gute und immer sicheren Tritt bei deinen nächsten Bergtouren.
Heidi Sand: Vielen Dank, lieber Stephan.
Transcript
Meine Damen und Herren, jeder Mensch hat eine ganz individuelle Geschichte und wer eine Krebserkrankung u00fcberstanden hat, hat eine ganz besondere.In unseren Gespru00e4chen wollen wir das Licht und den Spot auf diejenigen lenken, die auf besondere Weise mit ihrer Krebserkrankung umgegangen sind.Mut machen, ja zum Leben sagen zu ku00f6nnen.Anstu00f6u00dfe geben, eine Krebserkrankung auch anders zu denken.Unser heutiger Gast vereint in ihrer Persu00f6nlichkeit Ku00fcnstlerisches und Abenteuerlust.
Sie ist Bildhauerin und kam zum Hu00f6hlenbergsteigen erst durch einen schweren Schicksalsschlag.Sie erhielt 2010 die Diagnose Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium.Als Mutter von 3 Kindern resigniere sie jedoch nicht und ku00e4mpfte entschlossen gegen die Krankheit an.Wenn alles gut ausgeht, besteige ich den Everest.Es ging gut aus und sie erreichte ihr hochgestecktes Ziel, den Mount Everest mit 8848 Metern.
Sie hat ein Stu00fcck alpine Geschichte geschrieben und wie ich finde, ein grou00dfartiges Stu00fcck Geschichte.Herzlich willkommen, Heidi Sand.Heidi, erzu00e4hl uns deine Geschichte.Wie war dein Leben vor der Krebserkrankung?
Ich war mit 1 Leichtigkeit mit meinen Skulpturen beschu00e4ftigt, mit meinem Sport, mit meinen 3 Kindern, die ich grou00dfgezogen habe und mit meinem Mann, damals hatten wir noch Hund.Ja, das Leben war erfu00fcllt.
Wie kam es zu der Diagnose Darmkrebs?
Es war 2010.Im Mai stand ich auf dem Mount McKinley.Ich war in meinem Element, ich fu00fchlte mich bu00e4renstark.Dann kam's anders.Beim Abstieg fingen an, mich Magenschmerzen zu plagen und kurze Zeit spu00e4ter zu Hause in Stuttgart war ein Training nicht mehr mu00f6glich.
Unweigerlich, ich musste Montag morgens zum Arzt.Der wurde ziemlich blass, hat mich gleich da behalten und am nu00e4chsten Morgen notoperiert.Der Tumor sau00df ganz am Ende des Darmes.Es war immer eine ziemlich knappe Geschichte und er kam paar Tage spu00e4ter mit dieser Diagnose Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium zu mir ins Krankenbett.Also mir hat es zunu00e4chst einmal komplett den Boden unter den Fu00fcu00dfen weggezogen.
Ich hab mit ihm gestritten, ich hab gesagt, muss die falsche Akte in der Hand haben.Ich fu00fchl mich eigentlich gut bis auf die Magenkru00e4mpfe und ich dachte, es wu00e4ren irgendwelche Muskelverhu00e4rtungen.Er wiederholte dann noch mal die genaue Diagnose.Ich fu00fchlte mich wie im falschen Film.Auch zum allerersten Mal, dass ich komplett ohne Bodenhaftung in meinem Bett lag.
Ich war dann geschwu00e4cht von der OP und hab erst mal nur geheult wie Schlosshund.
Was war die gru00f6u00dfte Herausforderung in dem Moment, als Du die Diagnose erhalten hast?
Im ersten Moment war es erst mal, die nu00e4chsten Minuten zu u00fcberleben.Mit dieser Nachricht, die man doch mit der man bombardiert wird, wenn man so u00fcberhaupt nicht damit rechnet.Ich war damals in meinen 43 Jahren wirklich kein Kandidat fu00fcr Darmkrebs.Ich war in meinem Leben noch nie u00fcbergewichtig, hab immer relativ viel Sport gemacht und mich gesund ernu00e4hrt.Es hat auch definitiv eine Weile gedauert, bis ich wieder klar denken konnte.
Am Anfang ist man wirklich wie im Nebel und hofft immer noch, dass die Tu00fcr aufgeht und der Arzt sagt, sorry, wir haben uns getu00e4uscht.
Wann realisiert man halt die, dass die Tu00fcr nicht aufgeht?Dass da keiner reinkommt und sagt, ich hab mich getu00e4uscht als Arzt?
Als man dann definitiv u00fcber Therapiemau00dfnahmen gesprochen hat.Und da fing ich das erste Mal an zu realisieren, dass ich die Sache, die Krebserkrankung, angehe, wie ich eigentlich eine Bergtour plane.Welcher Berg ist es u00fcberhaupt?Wie kommt man dorthin?Wie kommt man dort wieder zuru00fcck?
Welche Jahreszeit?
Welche Jahreszeit, welche Kleidung braucht man?Das war die Zeit, wo ich's akzeptiert habe, wo ich's angenommen hab.Welche Therapiemu00f6glichkeiten gibt es?Mit was kann ich mich identifizieren?Und welchen Weg will ich fu00fcr mich gehen?
Wie organisiere ich den Haushalt?Die Kinder, mein Atelier, meine Workshops, die ich hatte.
Heidi, ich habe einen Auszug aus einem Buchtext mitgebracht, den wu00fcrde ich dir gerne vorlesen.Als wu00e4ren Angst und das Gefu00fchl der Machtlosigkeit nicht schlimm genug, fu00e4ngt auch der Ku00f6rper an, verru00fcckt zu spielen.Haare fallen aus, in vermeintlich unpassenden Momenten flieu00dfen Tru00e4nen.Manchmal steht auch die eine oder andere Freundschaft oder die Beziehung auf dem Spiel.Sind das Dinge, die dir bekannt vorkommen?
Meine Gefu00fchlswelt hat komplett verru00fcckt gespielt.Ich musste wahnsinnig oft weinen, ohne Grund zu nennen.Sind einfach dann Bereiche, wo man sich selber nicht mehr im Griff hat, die durch die Veru00e4nderung ja nicht mehr greifbar spu00fcrbar waren.Und dann sitzt man in der Chemotherapie.Man schlu00e4ft viel, man liest.
Ich war zur Ruhe gezwungen und da kam zum ersten Mal sone Vision auf.Wenn ich das hier u00fcberlebe, dann will ich mich mit einem achttausender belohnen.
Belohnen?
Belohnen.Mir wurde relativ schnell klar, ich brauch Ziel und das ist in dem Fall dann keine neue Handtasche oder sonst was gewesen.Und dann war der Gedanke mal da und dann hat er mich nicht mehr rausgelassen.
Das heiu00dft, Du warst im Grunde am tiefsten Punkt deines Lebens und wolltest zum hu00f6chsten Punkt der Welt.Heidi, welche Reaktionen hast Du von deinem Mann, von deinen Kindern, von deiner Familie, aber auch von deinen Freunden, Nachbarn bekommen?
Ich glaub, die kennen mich.Ich hatte schon fru00fcher in anderen Ausmau00df eigentlich verru00fcckte Ideen.Ja, und dann meint man natu00fcrlich gleich, was soll's denn kosten?Er ist ja Schwabe und dann, und das ist fu00fcr mich nur mal so ausschlaggebend, mit diesem Ziel, mit diesem Traum, da lief ich auf Hochtouren.Ich fing an, dann wu00e4hrend den Chemotherapien wieder Sport auf leichtem Niveau zu treiben, aber ich bin wu00e4hrend der Chemotherapie wieder Joggen, Laufen gegangen.
Was haben denn deine u00c4rzte gesagt, als du denen gesagt hast, wenn ich hier raus bin und wenn ich hier fertig bin in 6 Monaten, bin ich auf dem Everest.
Ja, ich hatte nicht nur Befu00fcrworter fu00fcr mein Projekt, ich hatte auch viele, auf wo ich ku00e4mpfen musste oder mich rechtfertigen musste.Ihm war es einfach nicht klar, wie man glu00fccklicherweise den Krebs so besiegen kann und sich dann freiwillig in sone Gefahr begibt.
Heidi, wie wurde denn dann aus dem Wunsch die Realitu00e4t?
Ich kam nach Kathmandou in eine ganz andere Welt.Nepal gehu00f6rt zu den u00e4rmsten Lu00e4ndern der Welt.Man merkt sofort, man taucht ein in eine ganz andere Kunst, in eine ganz andere Kultur, in eine andere Religion.Und das alles war u00fcber mir wie wie ein toller ein toller Bogen, der sich gespannt hat.
Mit welchen grou00dfen Herausforderungen hattest Du zu ku00e4mpfen?
Man fragt sich immer wieder, ist man der Sache gewachsen?Technisch schaffe ich's tatsu00e4chlich bis oben.Wie reagiert mein Ku00f6rper nachher oben u00fcber 7000 Meter Hu00f6hen, u00fcber 8000 Meter Hu00f6he?Man hat keine Erfahrung und das ist so das Ungewisse, was man bis oben mit sich tru00e4gt, bis am fast am Schluss eigentlich.
Also die Ungewissheit, was kommt auf einen zu?Kannst du parallel zur Diagnose Frau Sand, Sie haben Darmkrebs feststellen?
Es ist diese Ungewissheit, die bei jedem von uns im Leben jeden Moment zuschlagen kann.Es kann das Gesundheitliche sein, es kann eine Umstrukturierung im Berufsleben sein, im Alltag sofort, wenn man Sachen erfu00e4hrt, die man nicht hu00f6ren will.
Dann kam der dreiundzwanzigste Mai 2012 und ihr seid aufgebrochen zum Gipfel des Mount Everest.
Wir waren irgendwie wie Rennpferde, die endlich starten wollten.Man will endlich los nach u00fcber 6 Wochen Leben in dem Basislager.Man will los.Wir hatten einen zuverlu00e4ssigen Wetterbericht, der sagte 5 Tage lang stabiles Wetter, nicht zu kalt, keine Winde, kein Niederschlag.Mitten in der Nacht zieht man los, ist vu00f6llig mit sich selbst beschu00e4ftigt, seinen Gedanken Schritt fu00fcr Schritt.
Es ist immer noch die Ungewissheit bei einem, ob man's bis zum Gipfel schafft.Es gibt noch diese Schlu00fcsselstelle an dieser Etappe zu bewu00e4ltigen, der Hillary Step.Ich hab nach dem Hillary Step kurz innehalten mu00fcssen, damit sich mein Puls wieder etwas beruhigt.Und dann hab ich's das erste Mal realisiert, wow, das wird ziemlich sicher was mit dem Gipfel.Und am Gipfel unweigerlich die Tru00e4nen flossen.
Es war 4 Uhr morgens noch stockdunkel, die Sterne zum Greifen nahe und da wurd's mir auch noch mal bewusst, es war wirklich anderthalb Jahre her, nach meinem tiefsten Tief, jetzt auf dem hu00f6chsten Punkt der Welt, auf dem Dach der Welt stehen zu du00fcrfen.Da sieht die Welt gigantisch friedvoll aus.Wir haben da einen Sonnenaufgang miterlebt und das war das schu00f6nste im Naturschauspiel, was ich je erlebt hab.Der Everest hat dann noch im ersten morgendlichen Schatten geworfen und da war's mir, da wurd's mir gleich klar, wow, ich will mit dem Hu00f6henbergsteigen weitermachen.Das war so ein einzigartiger Moment.
Ich wu00e4r dankbar, dass alles geklappt hat.Ich bin heut noch dankbar.
Hast Du an deinen, natu00fcrlich an deinen Mann gedacht, an deine Kinder, aber hast Du auch an deinen Arzt gedacht und an die Nachbarn, die gesagt haben, so was macht man doch nicht?
Beim Abstieg dann, ja.Beim Abstieg natu00fcrlich.
Hast Du denn die Berge deinen Kindern gewidmet, deinen dreien?
Ja, also da das jetzt dann alles so gut gepasst hat und wo ich vom Everest zuru00fcckkam, habe ich schon gesagt, ich wu00fcrde gern jedem meinen Kindern einen Achttausender widmen.Und mein Mann hat jetzt im im Dezember die Aiger Nordwand bekommen.
Gab es auch den Gedanken unterwegs, ich schaffe das nicht?
Ich war nicht an meiner Grenze.Ein wirkliches Aufhu00f6ren habe ich nie gedacht.Nie.
Was wu00fcrdest du anderen Krebskranken raten?Wie setzt man sich gute, aber vor allen Dingen auch erreichbare Ziele?
Zunu00e4chst ist es einfach gut, man sieht die Krankheit als Chance.Nicht als Bedrohung, sondern als neue Chance, sich neue Ziele zu setzen, neue Wege zu gehen, Wichtiges von Unwichtigen zu trennen.Ziele sollten machbar sein, aber natu00fcrlich eine gewisse Herausforderung bedeuten.
Also keine u00dcberforderung, aber auch keine Unterforderung, sondern eine Herausforderung.
Da muss man ein bisschen so in sich reinspu00fcren.Es ist ja oft auch eine Mischung zwischen Wunsch, Ziel und Vision, was man so hat.Also nicht jeder, der jetzt mich gehu00f6rt hat, muss sich das Ziel setzen, auch auf den Mount Everest zu steigen.Aber Ziele sollten machbar sein, weil sonst enden sie ja als Enttu00e4uschung, wenn sie nicht erreicht werden.
Heidi Hand aufs Herz, wie sehr und worin hat dich die Krankheit veru00e4ndert?
Genau.Vorher hab ich funktioniert und fu00fchlte mich in meiner Rolle auch sehr, sehr wohl.Aber jetzt mach ich dies Dinge viel konzentrierter, bewusster, entschleunige u00f6fters.Heidi Sand war immer fu00fcr alle da.Ich bin da entschlossener geworden, mal Nein zu sagen.
Also Grenzen zu ziehen?
Grenzen zu ziehen.Dieses Wort Nein, mir ist es zu viel, was mir fru00fcher nie u00fcber die Lippen gekommen wu00e4re.
Wie, Heidi, gehst Du mit dieser neuen Klarheit Welche Reaktionen gab's?
Viele Veru00e4nderungen gab's im grou00dfen Freundeskreis.Viele haben sich abgewandt, wussten auch nicht, wie mit der Situation umgehen, waren u00fcberfordert.
Giltst du als geheilt?
Die magischen 5 Jahre sind geschafft.Nach der letzten Untersuchung habe ich wirklich ein kleines Fest gemacht und wir haben gefeiert.Ja, wir haben eine neue u00c4ra eru00f6ffnet sozusagen.
Wie lautet dein Lebensbotto?Wie ist dein Credo?
Muss ich jetzt 2 nennen.Also 1 ist mir ganz wichtig, verliere nie deinen Humor.Mu00f6ge kommen, was soll.Und das zweite, ein ernsteres, akzeptiere dein Gestern und Heute und du kannst es morgen wieder frei durchstarten.
Ein anderes Leben, eine andere Qualitu00e4t bekommen?
Es ist die Intensitu00e4t, die anders ist.Es ist das Bewusstsein, die Wertschu00e4tzung jeden Tag, wo man aufwacht und es geht einem gut, was u00fcberhaupt das Wort Gesundheit bedeutet, weil es ist wirklich das beste, das gru00f6u00dfte Glu00fcck, uns passieren kann, ist, wenn wir jeden Tag aufwachen und wir gesund sind.
Heidi, was macht einen Kancer Survivor aus?
Also wir kriegen ja keinen Stempel drauf, dass wir jetzt Kancer Survivor sind.Aber ich glaub, was uns Betroffene alle verbindet, ist, dass wir freier, gestalterischer mit unserem Leben umgehen.Man sieht nach geraumen Zeit dann die Sache wieder klarer.Man zieht es durch, man weiu00df, man darf seine Tru00e4ume verwirklichen und man ist selbst viel wert, man ist selbst kostbar.Man muss sein Leben spu00e4testens dann selbst in die Hand nehmen, wenn es soweit ist, zu u00fcberleben und auf eine gute Art zu u00fcberleben.
Cut machen, Schluss machen mit den Sachen, die mir nicht gefallen haben und ich kann offen sein fu00fcr neue Dinge, die ich schon immer als Lebenstraum hatte.
Heidi, wir sind am Ende unseres Gespru00e4ches angekommen.Mir bleibt mich ganz herzlich bei dir zu bedanken, dass du uns mitgenommen hast auf diese wunderschu00f6ne Reise, auf diese beeindruckenden Erlebnisse, die Du uns geschildert hast und sage ganz herzlichen Dank, wu00fcnsche dir viel Gesundheit, alles Gute und immer sicheren Tritt bei deinen nu00e4chsten Bergtouren.
Vielen Dank, lieber Stefan.
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					Heidi Sand im PodcastIm DAK Gesundheit Podcast Ganz schön krank, Leute! spricht Heidi Sand eine Stunden lang über ihr Leben und ihren Umgang mit dem Krebs. Muss man das Leben mal fast verloren haben, um es richtig wertschätzen zu können? Die Diagnose Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium war für Heidi Sand von den German Cancer Survivors ein schwerer Schicksalsschlag, aber zugleich auch der Startschuss in ihre Bergsteiger-Karriere. Es hat ihren Kampfgeist geweckt. „Wenn ich den Krebs besiege, werde ich den Mount Everest besteigen!“ Was aus ihrem Ziel geworden ist und welche Parallelen sie in einer Krebserkrankung zum Bergsteigen sieht, darüber erzählt sie in der heutigen Folge. DAK Gesundheit 
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