Berliner Charme und großes Herz
Zweimal Diagnose Lungenkrebs!
Im Interview mit Stephan Pregizer erzählt die waschechte Berlinerin von ihrer 2001 und 2003 erhalten Diagnose Lungenkrebs und den anschließend erfolgten Therapien. Barbara Baysal spricht von den Höhen und Tiefen, die sie durchlebt hat und beschreibt den Wendepunkt in ihrem Leben, als es ihr gelang, sich dem Leben wieder anzuvertrauen. Ihre persönlich gemachten Erfahrungen sind bei ihrer Arbeit in der Selbsthilfe ebenso wertvoll, wie die vielen Gespräche, die sie mit Betroffenen über viele Jahre hinweg geführt hat. Die Mitbegründerin der bundesweiten Vereinigung „Selbsthilfe Lungenkrebs in Berlin“ sagt: „Wir wollen aufklären, vermitteln, informieren und stärken“. Wer Barbara kennt und erleben durfte, schätzt ihre heitere und lebensbejahende Art, ihr großes Herz und ihren Berliner Charme. Dies alles gehört genauso zu ihr, wie ihr Markenzeichen: Die roten Haare!
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Das Interview zum Nachlesen
Einleitung:
Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe der CancerSurvivor. Wir befinden uns hier in der Beletage eines bekannten Hotels am Gendarmenmarkt mitten im Herzen Berlins. Meine Damen und Herren, erfreulicherweise kann man statistisch seit 2008 bei Krebs insgesamt einen leichten Rückgang der Neuerkrankungszahlen verzeichnen. Doch ist Lungenkrebs speziell bei Frauen in der Tendenz ansteigend. Unser heutiger Gast ist 2001 und 2003 an Lungenkrebs erkrankt, wurde zweimal operiert und erhielt anschließend eine Bestrahlung. Wer sie kennt und erleben durfte schätzt ihre heitere, lebensbejahende Art, ihr großes Herz und ihren Berliner Charme. Dies alles gehört genauso zu ihr wie ihr Markenzeichen, die roten Haare. Sie ist Mitbegründerin der Selbsthilfe Lungenkrebs Berlin und des Bundesverbandes. Und sie sagt: „Wir wollen aufklären, vermitteln, informieren und stärken.“ Jetzt hat sie Platz genommen auf dem roten Survivor Chair. Herzlich willkommen, Barbara Baysal.
Barbara Baysal: Danke.
Moderator: Barbara, sei so lieb, erzähle uns deine Geschichte. Wie war dein Leben vor deiner Krebserkrankung?
Barbara Baysal: Wie das Leben Vieler: Arbeiten, Haushalt, Familie. 1986 mit meinem Mann zusammen ein Haus gebaut, wir sind beide berufstätig gewesen, haben zwei Töchter. Die eine war gerade in Ausbildung, die andere war auf dem Weg zum Abitur. Und Haushalt, Garten, Familie war mein normales Leben.
Moderator: Würdest du sagen, dass dein Leben eine Art Leichtigkeit hatte, dass es eine Unbekümmertheit hatte?
Barbara Baysal: Planung, Urlaub, Konzerte, das war alles, wenn man das so heute betrachtet, im Normalbereich, so wie jeder andere auch. Also nichts Besonderes, wo man sagt, das war überragend oder hervorhebend, sondern es war ein ganz normales Leben.
Moderator: Wie kam es zur Diagnose Krebs?
Barbara Baysal: Ich war vorher aufgrund von Panikattacken lange Zeit schon in Behandlung, öfter in der Klinik. Mir ging es wieder richtig gut. Ich bin dann entlassen worden, nach Hause, bin wieder berufstätig geworden, habe also meine Arbeit wieder aufgenommen nach langer Zeit und habe dann irgendwann eine Panikattacke gekriegt, die ich einfach nicht in den Griff gekriegt habe, die aber auch anders war als die normalen. Ich bin wieder in die Klinik und man hat alle möglichen Untersuchungen angestellt und dann hat man mich zum Röntgen geschickt. Und dann kam der Stationsarzt und sagt: „Ja, wir haben was in der Lunge gefunden, was da nicht hingehört. Und die Vermutung liegt auf verkapselte Entzündung.“ Und so bin ich also auch in die OP rein und bin dann irgendwann auf der Intensivstation so im Halbschlaf wach geworden und hatte mich gewundert, warum mein Mann neben mir sitzt und weint. Aber im Dusel der Narkosenachwirkung habe ich das noch nicht so richtig für voll genommen. Und habe dann, nachdem ich so den ersten richtigen wachen Moment hatte, als die Ärztin dann kam, gefragt: „Wie war es? Große, kleine OP?“ Und dann sagte sie: „Es tut mir leid, es war die große. Wir mussten also den unteren linken Lungenlappen entnehmen. Und: Es ist bösartig.“
Moderator: Hast du in dem Moment sofort realisiert, dass es sich um Krebs handelt?
Barbara Baysal: Nein. Das war irgendwie so unrealistisch, das war nicht real. Es sickerte dann so langsam ein, wo ich dann dachte, die müssen sich geirrt haben, das kann nicht sein. Ich habe weder gehustet noch Blut gespuckt noch Luftnot gehabt, ich war immer zur Krebsvorsorge, habe aber nicht darüber nachgedacht, dass man da ja in ganz andere Körperöffnungen guckt, habe fünf Jahre vorher mit dem Rauchen aufgehört. Und mir ging es gut, richtig gut. Also wenn man drei, vier Stunden bei 35 Grad Federball spielen kann, kann man nichts an der Lunge haben. Das hätte ja wehtun müssen. Ich hätte ja irgendwas merken müssen.
Moderator: Wie bekommt man so eine unverrückbare Tatsache ins Bewusstsein integriert?
Barbara Baysal: Das war ein schwieriger Prozess. Ich musste erst mal wieder laufen lernen und da für mich einen Weg einfach suchen, das Wort „Krebs“ irgendwo für mich anzunehmen und gleichzeitig zu gucken: Wie komme ich jetzt damit weiter?
Moderator: Konntest du das Wort „Krebs“ aussprechen?
Barbara Baysal: Ja. Ich habe es ganz viel ausgesprochen, weil es für mich dadurch das Unheimliche weggenommen hat, damit es für mich ein Stück Normalität wird. Ich habe es auch Leuten erzählt, die das gar nicht wissen wollten. Oder wenn mich Freunde angerufen haben, ich habe immer über den Lungenkrebs gesprochen, weil das für mich eine Art der Therapie war.
Moderator: Wie war das für deine Angehörigen, für deinen Mann, für deine zwei Töchter?
Barbara Baysal: Ich bin die erste in der Familie, die Krebs hat oder Krebs hatte. Ich war ja der Organisator der Familien, ich habe rund um die Uhr funktioniert. Und dann auf einmal haben sich die Rollen verdreht. Ich musste lernen, meine Wünsche zu äußern, und die Familie musste lernen, mich mit meiner Krankheit so anzunehmen, wie es ist. Also wenn man so platt sagt, vorher habe ich Rasen gemäht vielleicht in einer Stunde, jetzt habe drei Stunden gebraucht und habe dann zwischendurch eine Pause gemacht. Und dann war immer jemand da, der mir das aus der Hand genommen hat, der dann gesagt hat: „Ich mach weiter.“ Und dieses miteinander Umgehen muss man lernen. Ich musste viel lernen. Ich habe vorher selten gesagt: „Kannst du mir helfen?“ Ich habe immer gedacht: „Das muss man mir doch ansehen, dass ich Hilfe brauche.“ Also dieses war ein Prozess, den die Familie auch mit mir und ich mit der Familie durchlaufen musste.
Moderator: Wie war das, Barbara, konntest du mit deinem Mann ganz offen über die Erkrankung und die möglicherweise nicht-positive Perspektive direkt sprechen oder war dies nicht möglich?
Barbara Baysal: Also mein Mann konnte nicht mit mir darüber sprechen, aber ich habe darauf gedrungen, dass er mit mir spricht, weil es mir wichtig war, dass er weiß, was ich mir wünsche. Und wir haben dann einen Moment mal genutzt im Urlaub, da hat er gesagt: „Wir können uns einmal darüber unterhalten und dann ist aber gut.“ Und dann habe ich gesagt: „Okay“, das war ein Angebot für mich. Und ich habe dann mit ihm darüber gesprochen. Aber es war auch gut, dann von ihm zu erfahren, was er sich eigentlich wünscht. Er stand mir immer rund um die Uhr zur Verfügung, aber er wollte nicht noch mal darüber sprechen. Für ihn war es ausgestanden.
Moderator: Die Diagnose Lungenkrebs hast du 2001 erhalten, dann hast du zwei Jahre gut gelebt und dann kam es wieder zu einer Diagnose. Wann war das genau?
Barbara Baysal: Das war der 09. Mai 2003, Nachsorge, CT. Und dann sagte sie: „Wir haben leider eine schlechte Nachricht, da ist ein Rückfall, wir müssen jetzt noch mal gucken, was wir machen können.“ Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gekommen bin. Freitagmittag um 12:00 Uhr, meine Mutter 70. Geburtstag, also großes Familienfest angesagt. Und dann Freitagmittag um 12:00 Uhr natürlich kein Arzt ansprechbar. Also das heißt, ich wusste, da ist wieder was, wusste aber nicht, wie schlimm es ist, wusste nur ungefähr, wo es sitzt. Und das hat gleich wieder Erinnerungen hervorgerufen, weil nach der ersten OP, ich war ja nun damals völlig unbedarft, hatte ich den Doktor gefragt: „Kann das nicht auf die andere Seite gehen?“ Und der sagte: „Nein, passiert nie.“ Und mein Hausarzt sagte: „Mädchen, sei zufrieden, dass es nicht in der Mitte ist, das ist viel schlimmer.“ Jetzt war es in der Mitte. Und das Freitags um 12:00 Uhr. Da war für mich das Leben vorbei.
Moderator: Barbara, es muss dir doch die Füße weggezogen haben, also du diese Diagnose Lungenkrebs das zweite Mal erhalten hast. Also das ist doch eine Situation, wo man jegliche Bodenhaftung im Grunde verliert und das restliche Quäntchen an Leichtigkeit, an Unbekümmertheit, das man vielleicht noch in sich trägt, dann auch noch verloren geht. Was hat dir Kraft gegeben, wieder aufzustehen?
Barbara Baysal: Also erst mal habe ich eine Phase durchlaufen, wo nichts möglich war. Ich konnte mir weder Hausschuhe kaufen, weil ich dachte: „Trage ich nicht ab“, oder Theaterkarten für ein halbes Jahr später, das war nicht machbar. Und ich habe irgendwann im Laufe der Zeit jemanden kennengelernt, derjenige hat sich mit mir über den Tod unterhalten. Wie haben lange Gespräche geführt über Tod, Sterben und Leben und über Organisation von der eigenen Trauerfeier und über Bücher, Kübler-Ross in allen Variationen. Ich habe mir einen Film angeguckt im Kino, der von Lungenkrebspatienten in einem Hospiz in, ich glaube, Kanada, berichtet. Und irgendwann habe ich für mich entschieden, wenn ich so weitermache, dann ist mein Leben wirklich vorbei. Und dann habe ich gesagt: „So, jetzt erst recht“, und habe mich dann auf den Weg gemacht und habe eigentlich fast alles umgedreht. Und habe gesagt: „Wenn ich mir jetzt nicht die Karten für nächstes Jahr kaufe“, ist ja so, wenn man heute eine Theaterkarte haben will oder Konzertkarte, wenn man es nicht gleich macht, ist das Konzert ausverkauft und habe gesagt: „Wenn ich dann nicht mehr lebe, ist es mir doch egal, was mit der Karte passiert.“ Oder ich habe dann einen Kaufwahn gehabt und habe mir alles angeschafft, was machbar war, weil ich dachte: „Das wollte ich schon immer haben.“ Zum Glück (lacht) hat die Phase irgendwann geendet, das war doch schon teilweise chaotisch. Also mein Kleiderschrank war dann so voll, ich hätte mich drei Jahre lang mich fünfmal am Tag umziehen können, ohne irgendwas Neues zu brauchen. Ich musste mich dem Leben anvertrauen, ansonsten wäre ich tot gewesen. Freunde, wenn die zu Besuch waren oder wir irgendwo, dieses Verabschieden immer: „Es war das letzte Mal, ich sehe die nie wieder.“ Also man zieht sich immer mehr zurück. Und manchmal habe ich mir gedacht: „Eigentlich bin ich tot, wenn ich so weitermache.“
Moderator: Das heißt, du hast dich ein Stück weit entsozialisiert?
Barbara Baysal: Ja.
Moderator: Barbara, jetzt hast du für das Interview heute diese spezielle Location ausgesucht. Es ist mitten in Berlin am Gendarmenmarkt. Warum ist dieser Platz für dich von so hoher Bedeutung?
Barbara Baysal: Der Platz ist für meine Begriffe der schönste Platz in Berlin. Hier ist Lebensfreude pur. Es fahren Busse, es fahren Autos, es sind viele Menschen unterwegs. Ich liebe das, da irgendwo zu sitzen, ob in der Sonne oder im Schatten, Kaffee zu trinken und das, was viele machen wahrscheinlich, im Kopf lästern. Und ich genieße das einfach, weil das ist für mich das Herz von Berlin.
Moderator: Was ist deine Beschreibung eines CancerSurvivors?
Barbara Baysal: Ich fühle mich als CancerSurvivor. Ich kann eigentlich allen sagen, jeder, der die Diagnose bekommt und lebt, ist ein CancerSurvivor.
Moderator: Das Thema Rauchen und Lungenkrebs bedingt sich für viele.
Barbara Baysal: Klar, ist Rauchen ein Teil, der dazu beiträgt. Was sollen die Nichtraucher sagen, die einen Tumor haben? Die kämpfen eben damit, dass sie eben auch ständig gefragt werden. Ich glaube, die Sicherung fängt immer schon da an, wenn man irgendwo zum Arzt geht, ist egal welcher, dass man dann, wenn man sagt, man hatte Lungenkrebs, ist in der und der Behandlung, dass es dann gleich heißt: „Ach, haben sie geraucht?“ Ist völlig unwichtig, weil es ist nicht therapierelevant. Und ich sage immer, da wo es therapierelevant ist, kann man fragen, aber ansonsten werden andere Tumorpatienten auch nicht gefragt, was sie verkehrt gemacht haben, weil sie jetzt einen Tumor haben.
Moderator: Was war das beste Unterstützungsangebot, das dir widerfahren ist?
Barbara Baysal: Selbsthilfe kennenzulernen. Da saßen zwanzig Tumorpatienten mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen in unterschiedlichen Stadien. Da war eine Fröhlichkeit in dem Raum, die man fast greifen konnte. Das ist der Selbsthilfe zu erleben, die unterschiedlichen Umgehensweisen mit der Erkrankung, man kann es einfach nicht beschreiben.
Moderator: War es schwer für dich gegen mögliche Vorurteile gegenzuhalten und sich die bewusstzumachen?
Barbara Baysal: Man muss einfach sehen, wie hilfreich Selbsthilfe sein kann in allen Bereichen. Und da ist es wichtig, dass man zusammenkommt. Da ist es egal, ob zum Kaffeetrinken oder zum Stuhlkreis oder wie auch immer, wichtig ist, sich mit anderen einfach auszutauschen, zu unterhalten.
Moderator: Wann sollte man aus der Selbsthilfe wieder aussteigen?
Barbara Baysal: Aussteigen sollte man dann, wenn man das Gefühl hat: „Ich will mich mit der Erkrankung nicht weiter beschäftigen.“ Aber auf der anderen Seite sich auch zu fragen, ich denke immer: „Frage dich, ob du nicht wenigstens ab und zu wieder vorbeikommst, um anderen deine Erfahrungen mitzuteilen“, weil die sind enorm wichtig.
Moderator: Bei euer Selbsthilfe Lungenkrebs Berlin und auch auf Bundesebene sagt ihr: „Wir wollen aufklären, vermitteln, informieren und stärken.“
Barbara Baysal: Aufklären im Umgang mit der Erkrankung: Was kann ich tun? Was sollte ich lassen? Und wo kriege ich gute Informationen her?
Moderator: Vermitteln?
Barbara Baysal: Vermitteln von Hilfen. Psychoonkologie, Sozialdienst, Schwerbehinderung, was auch immer, da vermitteln und auch vermitteln, dass man lebt.
Moderator: Informieren?
Barbara Baysal: Informieren über alles, was das Leben zu bieten hat und nicht nur die Erkrankung.
Moderator: Und stärken?
Barbara Baysal: Dass man mit Lungenkrebs leben kann.
Moderator: Gut leben kann?
Barbara Baysal: Was heißt „gutes Leben“? Man kann auch kein gutes Leben haben, wenn man nicht krank ist.
Moderator: Was magst du an der Barbara Baysal, so wie sie heute ist, besonders gern und was nicht so?
Barbara Baysal: Dass sie Menschen die Wahrheit sagen kann, ohne sie zu verletzen. Was ich nicht an mir mag? Das ist meine Figur, die mag ich nicht. Aber die ist da, gut, ich könnte sie ändern, ich will sie gar nicht ändern. Vielleicht brauche ich sie auch.
Moderator: Barbara, wir sind am Ende unseres Gespräches angelangt, mir bleibt, mich ganz herzlich bei dir zu bedanken. Ich fand es sehr beeindruckend, einen Einblick zu erhalten, wie du deine Krebserkrankung in dein Leben integriert hast und wie vor allen du dich in der Selbsthilfe organisiert hast und Menschen hier engagiert zur Seite stehst. Vielen, vielen Dank, alles Gute für dich, Barbara.
Barbara Baysal: Danke schön.
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