
Durch Krebs zur Familie finden
Manfred Wühr ist erfolgreicher Unternehmer – und das mit Leib und Seele. Aber nicht immer hat es das Leben mit dem gebürtigen Bayern gut gemeint. Immer wieder musste er sich unter Beweis stellen, Prüfungen bestehen und Herausforderungen meistern. Mitten aus dem Nichts erhält er Anfang 2020 die Diagnose Leberkrebs. Die Ärzte sahen nach eingehenden Untersuchungen keine Hoffnung mehr für ihn und sprachen von einer sehr begrenzten Lebenszeit. Verzweiflung und tiefe Traurigkeit beherrschten von da an sein Leben!
Doch das Blatt wendete sich. Manfred wurde erneut zum Gespräch gebeten und mit den Worten durch die Ärztin begrüßt: ‚Es ist wie ein Sechser im Lotto‘. Die Onkologen konnten Entwarnung geben – Manfred hat zumindest keinen Leberkrebs, es handle sich aber um neuroendokrine Tumoren (NeT) – eine Krebserkrankung mit einer weitaus besseren Prognose. Die seltene Erkrankung kommt im Jahr zwei- bis viermal pro 100.000 Einwohner vor; vorwiegend sind Menschen im Alter von 50 bis 70 Jahren davon betroffen.
Manfred erlebte eine emotionale Achterbahnfahrt und fühlt sich seit diesem Augenblick durch die gewonnene Lebenszeit reich beschenkt. Seine größte Stütze – während des Bangens und Hoffens – war seine Frau Monika. Bei ihr fand er Halt, welcher ihm verhalf, seine Krebserkrankung anzunehmen. Er sagt:
Du brauchst im Leben einen Menschen, auf den Du dich verlassen kannst. Bei mir ist das meine Frau!.
Transcript
Meine Damen und Herren, ganz herzlich willkommen zu 1 neuen Ausgabe von ein Gespru00e4ch im roten Sessel. Heute ist Manfred, ein Unternehmer aus Berlin, zu Gast. Er erhielt in kurzer Zeit 2 folgenschwere Diagnosen, eine niederschmetternde und eine hoffnungsvolle. Daru00fcber wollen wir gleich mit ihm sprechen. Jetzt ist Manfred in der Su00e4ulenhalle angekommen und jetzt freue ich mich, ihn herzlich begru00fcu00dfen zu du00fcrfen.
Er hat Platz genommen im roten Survivor Chair. Ganz herzlich willkommen, Manfred Wu00fchr.
Ja, und ich hab mich auch sehr gefreut, hier sein zu du00fcrfen und bin ganz gespannt, wie das Interview verlu00e4uft.
Manfred, erzu00e4hl uns ein bisschen, wie war dein Leben vor der Krebsdiagnose? Wie hast Du gelebt? War es ein sorgloses Leben? War es ein Leben mit Aufs und Abs? Wie kann man das einordnen?
Meine Kindheit war so bis zum zehnten Lebensjahr relativ behu00fctet. Leider hatte ich meine erste negative Erfahrung mit der Erkrankung meiner Mutter. Die ist mit 33 Jahren an Krebs verstorben. Ich war seinerzeit 12 Jahre, hab dann bei meinem Stiefvater weitergelebt, der also sehr despotisch war und sehr cholerisch und ausschlieu00dflich auf das Wohl der Firma bedacht war. Wir mussten sehr fru00fch auch, meine Schwester und ich, mitarbeiten in dem Betrieb und bin dann mit 19 Jahren nach Berlin u00fcbergesiedelt und dann auch mit 20 Jahren verelicht.
Daraus ist auch ein strammes Mu00e4dchen entstanden. Aber die Beziehung ist leider nach 5 Jahren in die Bru00fcche gegangen, weil ich auch zu ehrgeizig im Beruf gewesen bin durch die vu00e4terliche Doktrin. Du bist nur etwas, wenn Du etwas schaffst, ja, wenn Du Und und das war in meinem Kopf eingebrannt. Stress war sehr grou00dfer Faktor, vorwu00e4rtszukommen, die Familie ernu00e4hren zu ku00f6nnen. Und das ist also klu00e4glich gescheitert.
Ich hab da ein, 2 Jahre gebraucht, mich davon zu erholen, auch psychisch vor allen Dingen. Und hab dann mit 25, 26 meine meine zweite Frau kennengelernt, die auch ein Mu00e4dchen mit in die Beziehung eingebracht hat. Und da kam dann auch Jahr nach unserer Hochzeit unser gemeinsamer Sohn zur Welt vor 31 Jahren. Aber was meinen Ehrgeiz im Beruf angeht, konnte die auch keinen grou00dfen Einfluss darauf nehmen, dass ich mal ku00fcrzertrete, dass es auch ein ein Privatleben gibt und so weiter. Meine Frau hat dann ihren Beruf aufgegeben, weil sie sich der Familie und dem Kind gewidmet hat.
Und ich hab dann umso mehr gearbeitet. Bin an 1 schweren Depression dann erkrankt. Ich war dann vier- oder fu00fcnfmal auch stationu00e4r in Behandlung, teilweise bis zu 5 Monate am Stu00fcck. Und bin dann in der Nachsorge auch noch mal u00fcber 3, 4, 5 Jahre ambulante Therapiebehandlung wieder einigermau00dfen stabil geworden. Konnte dann auch meinen beruflichen Intentionen nachgehen, aber auch mit der mit der mit demselben Ehrgeiz und derselben Geschwindigkeit wie vorher eigentlich wieder irgendwann.
Das hu00f6rt sich fu00fcr mich nach Leben an mit relativ viel Aufs, aber auch mit einigen Tiefen. Genau. Also wie sone Art Achterbahn auch.
Ich hab das also in all den Jahren oder Jahrzehnten nicht geschafft, eine Kontinuitu00e4t in mein oder in unser Leben reinzubringen.
Manfred, wu00fcrdest Du sagen, dass Du keine andere Vorlage hattest wie die deines Vaters, der das ja wahrscheinlich so gemacht hat?
Ich hab leider in den entscheidenden Jahren kein vorgelebtes Familienleben von meinen Eltern genossen, weil meine Mutter, wie gesagt, sehr fru00fch starb und bei meinem Stiefvater eben auch dieser Fokus, Du bist nur etwas, wenn Du auch etwas geschaffen hast, ja. Ansonsten bist Du wertlos.
Wie kam es zur Krebsdiagnose? Hattest Du Symptome, Beschwerden, Auffu00e4lligkeiten, die dich veranlasst haben, zum Arzt zu gehen?
Ich war seit meines Lebens nie krank, hab dann also Ende 2019 so eine gewisse Erschu00f6pfung gespu00fcrt. Ich dachte, ich hab jetzt 2 Wochen Erholung u00fcber die Feiertage und bin dann aber Anfang Januar dann zu unserem Hausarzt gegangen, der dann u00fcber eine erste Blutuntersuchung Blutwerte festgestellt hat, da ist was im Ku00f6rper. Also die die Marker stimmen da irgendwie nicht oder so. Und dann wurde mir mitgeteilt, die Diagnose zu 95 Prozent deutet auf Leberkrebs hin. Das hab ich dann so mehr oder weniger zur Kenntnis genommen und bin dann aufm Weg nach Hause.
Ja, muss ich das ja erst mal als Erstes meiner Frau erzu00e4hlen. Und dann kam ich nach Hause, die dachte, na ja, Blut wird wie immer ist nix und so. Und dann hab ich gesagt, hat sie schon gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt. Du, der Arzt hat gesagt, ich hab lieber Krebs. Also so.
Dann haben wir uns so, sind wir uns in die Arme gefallen und das war's dann jetzt erst mal so fu00fcr die ersten Sekunden oder Minuten. Sie hat sofort den Schalter umgelegt, Manfred, das schaffen wir schon. Und dann war ich dann in derselben Woche auch noch, wurde ich stationu00e4r in der Charitu00e9 aufgenommen, wo dann komplett alles untersucht mit Biopsie und allen mu00f6glichen Dingen Untersuchungen gemacht wurde.
Wie wurde dir in der Charitu00e9 damals diese Diagnose u00fcbermittelt?
Ich wurde dann ins Arztzimmer berufen, wo eine junge u00c4rztin, eine sehr engagierte junge u00c4rztin, der der ich sehr viel Vertrauen auch geschenkt habe, anwesend war mit einem erfahrenen Kollegen. Die beide haben wir denn mitgeteilt, Herr Bu00fchr, Sie werden sterben. Es gibt keine andere Mu00f6glichkeit. Lebenserwartung 3 bis 6 Monate. Nutzen Sie diese Zeit, Ihre Dinge zu regeln.
Seien Sie offen zu Ihrer Familie, sagen Sie, wie's ist. Ich bin dann also raus aus diesem Zimmer und hab mich erst mal in mein Bett verkru00fcmelt und erst mal dru00fcber nachgedacht, was die zu mir gesagt haben. Und dann hab ich mir u00fcberlegt, wie sag ich das als allererstes meiner Frau und meinen Kindern? Mhm. Und insgesamt 5 Tage hab ich gebraucht, sie dann ins Krankenhaus einzuladen, weil ich das im im in der stationu00e4ren Atmosphu00e4re mit einem Arzt zusammen ihr das mitteilen wollte.
Hat das dich Stu00fcck weit befreit, Manfred,
dass Du das deiner Frau gesagt hast? Ich war sehr erleichtert, dass ich wirklich in meiner Frau da den Menschen habe an meiner Seite in deinem Leben. Wenn Du einen einzigen Menschen hast, den Du hundertprozentig vertrauen kannst, dann ist das Glu00fcckstreffer fu00fcr dein ganzes Leben. Und so empfinde ich das heute auch in Verbindung mit meiner Frau. Wir haben uns auch wieder angenu00e4hert nach dieser Diagnose, was also auch die Zweisamkeit und die Entspanntheit angeht, weil die Firma immer, die Firma und die Kinder, das war immer so ganz oben.
Und jetzt ging's mal auch wirklich
euch.
Uns. Und diese Erkrankung sehe ich auch als Chance fu00fcr mich und fu00fcr meine Frau, meine Familie positiv zu erleben. Und und ein Dankeschu00f6n an meine Frau und meine Kinder und meine Freunde, dass die mich durchweg so positiv unterstu00fctzt haben. Jetzt hat ja diese Geschichte, die fu00fcr eine Woche, 10 Tage im Raum war, eine Wende erfahren. Welche?
Nach diesem Meeting im Krankenhaus vergingen 5 oder 6 Tage, wo ich erneut in das u00c4rztezimmer gerufen wurde, sagt sie zu mir, Herr Wu00fchr, Sie Sie haben Sechser im Lotto. Dann hat die mir in in 3, 4 Su00e4tzen erklu00e4rt, Herr Bu00fchr, in der Tumorkonferenz vergangenen Montag wurde festgestellt, dass Sie an 1 Netterkrankung leiden.
Wusstest Du zu diesem Zeitpunkt, was nett bedeutet?
Nein, u00fcberhaupt nicht. Ich hab dann quasi erst mal mit hinausgenommen langsame Zellteilung. Der Krebs ist relativ selten. Die Lebenserwartung kann wesentlich sich steigern im Vergleich zu vielen anderen Krebsarten. Fu00fcr alle, die das nicht wissen,
was nett bedeutet, es sind neuroendokrine Tumoren. Und das war die Diagnose, die Du erhalten hast. Das heiu00dft, Du musst ja in diesen Tagen ein Wechselbad der Gefu00fchle gehabt haben.
Genau. Ich bin nach Hause gefahren mitm Auto, hab die ganze Fahrt geweint vor Glu00fcck. Das war nur meine Frau zu Hause. Und das war einfach von emotionalen Gefu00fchlen waren wir beide u00fcberwu00e4ltigt. Diese Mitteilung, dass dass ich vielleicht doch noch mehr Lebenszeit gewonnen habe, hat mich u00fcberwu00e4ltigt.
Und mich auch gleichzeitig in Gedanken dahin gefu00fchrt, dass ich auch in meinem Leben das eine oder andere u00e4ndern muss, dem auch gerecht zu werden, was anfangen zu ku00f6nnen mit meiner neu gewonnenen mu00f6glichen Lebenszeit.
Was hat sich veru00e4ndert in deinem Leben durch diese Situation? Fu00fcr mich
war klar, ich ich sie hier jetzt so im Krankenhaus dahin und dann wird das irgendwann Schluss sein. Und jetzt hab ich plu00f6tzlich eine neue Perspektive. Ich werd da entlassen und ich versuche zu genieu00dfen, was ich nie gemacht habe. Und jetzt ist es so, dass Freitag mittags gegen Nachmittag Schluss ist und ich den Samstag und Sonntag verwende fu00fcr Entspannung und mit meiner Frau faulenzen, wie mir zu Gemu00fcte ist, lu00e4nger schlafen, nachmittags mich mal eine Stunde hinzulegen oder mit meiner Frau. Einfach mal Kaffee trinken zu gehen und in die Natur zu gucken, einfach mal zu sitzen und innezukehren.
Fu00fcr mich machst Du den Eindruck, Manfred, als ob Du jetzt viel, viel stu00e4rker im Hier und Jetzt lebst.
Wenn ich in mich hineinschaue, ich benenn das mal, dass ich so versuche, son kleines Achtsamkeit straining mit mir selber zu machen. Also jetzt nicht 6 Sachen gleichzeitig machen zu wollen. Die Verfu00fchrung war ja da zu dem Kunden musst Du nach hinten, da musst Du noch telefonieren. Essen oder Mittagessen, das war bei mir immer so, da 10 Minuten, zack, zack, zack und dann zack, schon wieder weg. Sone Situationen, die versuch ich heute zu vermeiden.
Wenn ich dann heute Mittag esse, dann setz ich mich so hin oder mach so Mittag, dass mich dann keiner stu00f6rt oder keiner anruft, sondern dann konzentrier ich mich auf das Mittagessen. Und dann ess ich Mittag. Und wenn ich Mittag esse, ess ich Mittag und mach nix anderes wie Mittagessen. Und so u00e4hnlich versuch ich auch, meine viertelju00e4hrlichen Stagingtermine heranzugehen und versuche dann nicht, meine Gedanken dahin zu lenken, na hoffentlich ist es nicht schlechter geworden. Hoffentlich ist es gut.
Hoffentlich ist es stabil geblieben. Sondern ich ich kann's ja nicht u00e4ndern, auch wenn's in die negative Richtung gehen wu00fcrde. Dann ist eine neue Situation und da muss man sich da neu einstellen, so denke ich.
Manfred, wir sind am Ende unseres Gespru00e4ches angelangt. Ich bin sehr beeindruckt von dem, was Du uns erzu00e4hlt hast, von deinem sehr bewegten Leben mit vielen Aufs, aber auch einigen Abs. Aber ganz besonders freut's mich, dass Du eine neu gewonnene Perspektive vor dir hast.
Ich bedanke mich recht herzlich und wu00fcrde mir wu00fcnschen fu00fcr alle Patienten, die an Krebs erkrankt sind jeglicher Art, glaubt an das Leben und es gibt immer einen gewissen Hoffnungsfunken. Ich bin hier 10 Tage durch die Hu00f6lle gegangen von von Todesurteil bis mehrere Jahre, die mu00f6glich sind oder mu00f6glich sein ku00f6nnen. Jedem, der liebe Menschen hat, nehmt die Hilfe an und die die Liebe, die euch angeboten wird, wahrzunehmen, ehrliche Liebe wahrzunehmen. Und das hilft ungemein. Danke dir.
- person Manfred Wühr
- coronavirus Neuroendokrine Tumoren
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