
Notfall: Krebs!
Andrea Küke ist 41 Jahre alt, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Sie arbeitet als Kinderkrankenschwester und findet privat wie beruflich ihre Erfüllung – ihr Leben scheint in Ordnung zu sein.
Doch dann verändert sich alles rasend schnell – in kurzer Zeit geht es ihr körperlich täglich schlechter. Es wird bedrohlich und sie trifft die Entscheidung, sofort ins Krankenhaus zu gehen. Noch am selben Tag erhält Sie nach eingehenden Untersuchungen und diversen Bluttests die Diagnose Akute Myeloische Leukämie (AML). Der Schock sitzt tief! Sie hat keine Zeit für die Verarbeitung der folgenschweren Diagnose, denn sie erhält noch am selben Tag eine Hochdosis-Chemotherapie…
Bei dieser speziellen Leukämieform handelt es sich um eine sehr ernstzunehmende Erkrankung des blutbildenden Systems, die normalerweise vornehmlich im höheren Alter vorkommt. Die wirklich gute Nachricht ist: Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark verbessert.
Die Krankenschwester Andrea erzählt im Interview, wie man sich auf der Patientenseite fühlt und möchte dies gerne dem Pflegepersonal vermitteln. Den Betroffenen möchte Sie Mut machen, indem sie sagt, dass man sehr viel schaffen kann, wenn man nur ganz fest daran glaubt. Andreas Interview ist ein echter Mutmacherfilm. Durch ihre feine, empathische und natürliche Art gewinnt sie im Flug die Herzen der Zuschauer.
Das Interview zum Nachlesen:
Moderator: Ganz herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe von „Ein Gespräch vom roten Sessel“. Gleich sprechen wir mit Andrea, die im Alter von 41 Jahren die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie erhielt. Dabei handelt es sich um eine sehr ernstzunehmende Erkrankung des blutbildenden Systems, das Gute aber dabei ist, die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark verbessert. Die Kinderkrankenschwester aus Ostwestfalen möchte heute unter anderem dem Pflegepersonal erzählen, wie man sich auf der anderen Seite fühlt und dem Patienten möchte sie Mut machen, dass man sehr viel schaffen kann, wenn man nur ganz fest daran glaubt. Andreas Broder konnte seine Stammzellen spenden und Sie kann zuversichtlich sagen: Gott sei Dank geht es mir jetzt nach einer langen Phase der Erholung wieder echt gut. Jetzt ist sie bei uns, schön, dass du da bist, ganz herzlich Willkommen Andrea Küke.
Andrea Küke: Vielen Dank, dass ich kommen durfte und ich freu mich auf das Gespräch mit dir.
Moderator: Andrea wie hast du gelebt als du vor zwei Jahren mit der Diagnose mit Leukämie kam?
Andrea Küke: Ja ich bin schon sehr zufrieden gewesen und einfach dankbar, meine Familie zu haben und mein Umfeld, bin verheiratet, hab 3 Kinder, hab als Krankenschwester gearbeitet. Ich bin auch Heilpraktikerin, ich habe mich manchmal dann auch selbst vergessen, mich um mich zu kümmern, weil ich mich immer gut um alle anderen gekümmert habe.
Moderator: Also der Tag hat ja 48 Stunden, statt 24 zu haben dürfen?
Andrea Küke: Ja, hätte manchmal so sein können in der Tat.
Moderator: Was ist passiert, wie kam es zu der Diagnose Leukämie?
Andrea Küke: Also es war im Juni 2019, da habe ich innerhalb von eineinhalb Wochen körperlich total abgebaut, ich bin immer schlapper geworden. Ich konnte nicht mehr essen, mir fiel alles schwer, ich habe viel auf dem Sofa gelegen, das Schlafen und dann habe ich zu meinem Mann gesagt, dass er mich ins Krankenhaus bringen muss, dass irgendwas so überhaupt nicht stimmt. Irgendwas muss da sein. Ja dann bin ich ins Krankenhaus gefahren da wurde mir Blut abgenommen und die Anamnese durchgeführt und die behandelnden Ärzte bzw. die aufnehmenden Ärzte, die mussten dann in einer Besprechung und dann saß ich halt da und dann brachte die diensthabende Schwester schon immer Blutbefunde und hat die mir dann auf den Schreibtisch gelegt und veränderte Werte und ich konnte die problemlos deuten, dadurch, dass ich ja Kinderkrankenschwester bin und da habe ich schon gedacht: Oh je. Und dann bin ich auf das Zimmer gekommen und dann ist mein Mann nach Hause gefahren und eine halbe Stunde später stand dann der Onkologe im Zimmer und hat mir dann gesagt, dass ich an einer akuten myeloischen Leukämie leide, dass ich heute noch in ein anderes Krankenhaus verlegt werden müsste. Dass ich heute noch eine Knochenmarkentnahme machen müsste und dass heute noch die Chemotherapie beginnen müsste. Also ich sollte mich jetzt entscheiden, dann könnte innerhalb einer halben Stunde in einem anderen Krankenhaus sein. Ich habe mich dann dafür entschieden und dann kam eine halbe Stunde später, ne, keine halbe Stunde später, kam da schon die Rettungssanitäter, um mich abzuholen. In Schutzanzügen mit FFP2 Maske haben, die mich dann mit Einsatz entlassen und dann ins nächste Krankenhaus gefahren, also Dreiviertelstunde. Also das konnte gar nicht richtig, also keine, ich hatte keine Zeit das irgendwie zu realisieren. Ich habe gedacht, komme ich etwa nach Hause? Was passiert jetzt? Wars das jetzt? Was ist mit meinen Kindern?
Moderator: Als wenn dir dein Leben aus der Hand genommen wird.
Andrea Küke: Ja total, also im Rettungswagen musste ich dann auf einmal auch weinen. Musste ich auch sagen, ich hatte einen ganz netten Rettungssanitäter, der bei mir saß und der wirklich auch getan hat war der in so einer Situation tun konnte, also der war echt gut für mich da, aber der war natürlich auch überfordert.
Moderator: Jetzt bist du ja ein Mensch der sehr viel Bodenhaftung, normalerweise im Leben wie wir ja sehen. Du bist ja gar nicht barfuß und hast den Kontakt zum Boden. Hattest du das Gefühl, dass du in dem Moment als das alles auf dem Tisch war und alles gesagt war und das alles, der ganze Prozess ablief, dass du die Bodenhaftung verloren hattest?
Andrea Küke: Ja hatte ich tatsächlich einen Moment, also ich hatte ganz lange Zeit keinen klaren Gedanken, also ich glaube da kam erst irgendwann nach der Transplantation als ich wieder zuhause angekommen bin, vorher hatte ich keinen klaren Gedanken, da sind die ganzen Hormone, also man ist immer in diesen Stressmodus und ich konnte gar nicht richtig runterfahren. Oder es war vielleicht ein bisschen klarer, nachdem ich wusste, also nachdem klar war, dass ich eine Stammzellentransplantation brauche. Und klar war, dass mein Bruder spenden konnte.
Moderator: Wie schnell war das klar?
Andrea Küke: Also nach sechs Wochen ungefähr, ich war klar, dass ich in siebzigprozentiges Rückfall Risiko habe, wenn ich mich nicht transplantieren lasse und die Leitlinien schlagen halt für junge Menschen vor deiner Knochenmark Transplantation einer Allogenen Stammzellentransplantation zu machen. Also das konnte ich alles gar nicht.
Moderator: Das klingt nach einer Achterbahnwoche.
Andrea Küke: Ja und ich bin dabei auch nicht hinterher gekommen mit meinen Gefühlen und Emotionen, aber danach als ich dann die zweite Chemo hinter mir hab und dann zwei Wochen zuhause hatte vor der Transplantation, da hat sich das alles so ein bisschen gesetzt, da konnte ich mein Akku ein bisschen aufladen wieder. Und dann war für mich klar das will ich jetzt einfach, also möglichst schnell und gut hinter mich bringen.
Moderator: Und war für dein Bruder klar, dass er spendet?
Andrea Küke: Ja, das hat er sofort gesagt.
Moderator: Wie ist die Beziehung zu deinem Bruder heute?
Andrea Küke: Ja, wir haben ein ganz tolles Verhältnis, also ich bin auch wirklich aus tiefstem Herzen dankbar dafür, dass er das für mich getan hat und wir haben jetzt auch dieselbe Blutgruppe, meine Blutgruppe hat sich verändert. Ich reagiere auf Mückenstiche ein bisschen anders als vorher, also so wie er jetzt, also letztens dachte ich auch ich kriege ein bisschen Heuschnupfen, also wir sind uns auch körperlich ähnlicher geworden, vom Immunsystem her.
Moderator: Wie wichtig schätzt du die Situation ein, dass es Menschen gibt, die sich testen lassen und spenden?
Andrea Küke: Das ist unheimlich wichtig, also das bedeutet ja für jeden einzelnen Menschen das Überleben, wenn es jemanden gibt, der Spenden kann. Und ich appelliere auch an alle die dies können sich testen zu lassen, ob sie als Stammzellenspender in Frage kommen, genauso wie ich an alle Menschen appelliere, die Blut spenden können, Blut spenden zu gehen. Ich habe bestimmt vierzig Blutkonserven bekommen in der ganzen Zeit, also wenn diese Menschen nicht los gegangen wären zum Spenden, säße ich jetzt auch nicht mehr hier, also es ist in der Onkologie wirklich total wichtig. Lebensrettend, dass es Blutspender gibt.
Moderator: Gab es irgendwann den Zeitpunkt, also als du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest?
Andrea Küke: Ja die Zeit war noch einmal eine große Herausforderung, weil bei der Transplantation war ich in so einem Isolationszimmer und super gut geschützt vor allen Keimen, eine die rein gekommen sind, die haben Mundschutz getragen, Schutzkittel, Haube, Handschuhe und jetzt musste ich in meinem Umfeld in mein normales, die Blumen wurden alle raus geräumt und ich hatte auch keine Kontakt zu unseren Tieren und erstmal durften keine anderen Kinder zu meinen Kindern kommen, weil einfach die Infektionsgefahr so hoch gewesen ist. Ja und auch kräftemäßig ging da auch echt nicht viel. Ich habe da total viel abgenommen und dann fehlten dann einem natürlich auch die Kraft zehn Kilo auch tatsächlich weniger als jetzt und das macht so einen Unterschied, alleine schon die körperliche Kraft, auch mental macht das ganz viel aus.
Moderator: Wenn du heute auf die letzten zweiundzwanzig, vierundzwanzig Monate zurück schaust von der Diagnose zu jetzt. Was ist in der Erinnerung für dich da der aller allerschwerste Moment gewesen?
Andrea Küke: Der allerschwerste Moment ist gewesen, als ich zu Transplantation gegangen bin und dann mich von meinen Kindern verabschieden musste. Ja hoffentlich geht das alles gut.
Moderator: Wenn du anderen die diese Diagnose jetzt gerade erhalten Mut machen möchtest. Wie würde sich das anhören?
Andrea Küke: Ja ich würde sagen entscheidet euch für das Leben und arbeitet mental, das ist das, was ihr in der Hand habt, stellt euch eure Zukunft gut vor. Ich hatte immer super Begleiterinnen, die mich da an die Hand genommen haben und die mir das immer wieder vor Augen geführt haben. Ich habe auch Tagebuch geführt, ich habe jeden Tag aufgeschrieben, wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Also einfach sich für das Leben zu entscheiden und für die Zukunft und alles sich vor Augen führen was man erreichen möchte.
Moderator: Wo kam das Mut machen von außen am stärksten?
Andrea Küke: Also mein Mann ist relativ offensiv mit der Diagnose umgegangen, der hat auch wegen den Kindern, war das schnell bekannt. Erst habe ich gedacht hmm, aber andererseits war es ziemlich gut, weil ich auch sehr viel Zuspruch erhalten hab. Das hat mich auch getragen, es hat, der Vater von einem Freund von meinem Sohn, der hatte in Santiago den Compostela eine Kathedrale eine Kerze für mich angemacht und das Foto geschickt. Also das hat mich sehr berührt oder in Berlin oder in Köln oder eine Freundin hatte in Holland eine Kerze für mich angesteckt oder im Paderborner Dom, das ganz, das war total schön. Oder es sind auch wieder Kontakte wiedergekommen zum Beispiel zu einer Kollegin die ich ewig nicht gesehen hab, wir haben uns komplett aus den Augen verloren und das passt, irgendwie war ich trotz dieser Erkrankung von guten Menschen, Gedanken, Wünschen umgeben, das hat mich sehr getragen.
Moderator: Was möchtest du anderen Leuten, neu Betroffenen, neu Diagnostizierten mit auf dem Weg geben? Mach ihnen doch ein wenig Mut.
Andrea Küke: Also entscheidet euch für das Leben, mobilisiert alle euch Kräfte und ihr habt noch viel mehr Kraft als ihr denkt, dass ihr sie habt und entscheidet euch für das Leben.
Moderator: Jetzt hast du gesagt, du möchtest gerne dem Pflegepersonal auch ein bisschen begreifbarer machen, wie es aussieht, wenn man auf der anderen Seite ist. Was aus deiner Sicht sollten die mehr in Fokus haben oder sehen?
Andrea Küke: Also das Pflegepersonal sollte empathischer noch mit den Patienten sein, ich weiß das Pflegepersonalmangel besteht. Und auch oft nicht so viel Zeit ist und das ganz viele Dinge ganz routiniert mit ablaufen, aber wenn man auf der anderen Seite ist, dann im Bett liegt, dann hat das alles eine große Bedeutung für einen.
Moderator: Welche Rolle hat deine Familie, aber auch deine Freundin während deiner Krankheitszeit gespielt?
Andrea Küke: Ich habe drei gute Freundinnen, die mich während der ganzen Zeit begleitet haben und mein Mann natürlich, die vier waren eben halt immer bei mir und während der ersten Chemotherapie, das waren fünfeinhalb Wochen glaube ich, da war ich wirklich nicht einen Tag alleine. Haben sie sich nicht zurückgezogen, auch wenn sie es gerne mal gemacht hätten, weil es alles auch etwas schwer zu ertragen ist, dennoch waren sie immer da, dafür bin ich aus tiefstem Herzen dankbar.
Moderator: Du hast ja auch Unterstützung bekommen durch eine Psycho-Onkologin. Wie würdest du diese Hilfe, diese Unterstützung bewerten?
Andrea Küke: Also die Psychoonkologische Hilfe war sehr wertvoll für mich, es gab immer Momente, wo ich einfach jemanden gebraucht hab und wo ich auch mal jemanden brauchte, der mich nicht kennt, der mir nicht so nahe ist. Dem ich mich öffnen konnte, denn man möchte ja auch nicht alle seine Sorgen und Ängste mit dem, mit der Familie teilen oder mit den Freunden. Weil man es denen nicht unbedingt zumuten möchte und da gab es ganz viele Momente, da kam meine tolle Psychoonkologin, die ist so unglaublich dankbar ins Zimmer und dann hat die mich angeguckt und dann kam schon alles aus mir raus. Da musste ich dann echt dann weinen und dann war einfach Raum dafür da, dass ich weinen durfte und ich habe auch Tools an die Hand gekriegt, wie ich dann damit umgehen kann mit bestimmten Situationen, wie ich mich aus Panikattacken raushole oder wie ich mich entspannen kann oder meine Gedanken mal ein bisschen ruhiger werden lasse. Das war schon sehr, sehr wohltuend.
Moderator: Wie wichtig ist es bei einer Krebserkrankung in diese mentale Balance zu kommen?
Andrea Küke: Also das ist sehr wichtig, das ist, das was man mir auch als Patient tun kann zum Beispiel habe ich mir bei der ersten Chemotherapie ein Bild gemacht, ich habe mir eine Fabrik vorgestellt, die ich in meinem Bauch hab und da sitzen Engel drin, die befeuern einen Ofen, der Ofen ist mit meiner Aorta, meine Hauptschlagader verbunden und die Chemotherapie, die kam, die wurde da gelagert, in Form von Briketts, die waren so goldweißlich fließend und der Qualm, der da rauskam, war da pure Liebe und der ist durch mein Körper geflossen und hat alle Leukämiezellen nicht getötet, der hat die in Liebe umgewandelt. Also, dass die mir nichts mehr böses mehr wollen, und das habe ich mir wirklich vor jeder Chemotherapie mir vorgestellt, mehrere Male am Tag. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es mir geholfen hat, gesund zu werden und dass die Chemotherapie angeschlagen hat.
Moderator: Wann hast du zum ersten Mal gedacht, ich hab’s geschafft?
Andrea Küke: Als ich die erste Knochenmarkpunktion hatte, nach der Transplantation und da keine Leukämiezellen drin waren, da habe ich gedacht boah geschafft und danach folgten im Abstand von drei Monaten und bis jetzt immer noch die Punktionen, aber die waren alle okay.
Moderator: Wie lebst du heute 24 Monate später?
Andrea Küke: Also heute ich bin immer noch arbeitsunfähig, aber mir geht es gut. Ich kann wieder, ich mache Yoga, ich gehe spazieren, ich schaffe 5 – 6 Kilometer zu laufen. Ich kann mit meinem Sohn im Garten Fußball spielen. Ich lese viel, ich mache Dinge, die mir guttun, ich merke, dass ich auch versucht bin, zwischendurch wieder in so ein altes Muster reinzufallen, aber da erinnere ich mich dann dran oder Menschen in meinem Umfeld sagen dann: Hey, pass mal besser auf dich auf wieder. Und ich habe auch einige Werkzeuge, die auch einige Dinge für mich entdeckt, die mir guttun und die mir auch helfen. Wenn ich mental nicht gut drauf bin, dass ich mich dann wieder erde.
Moderator: Andrea wir sind am Ende unseres Interviews rangekommen, ich möchte mich aufs herzlichste bedanken, dass du heute hier warst. Dass du deine Geschichte erzählt hast. Die sicherlich ganz viel neu Diagnostizierte Leukämie Patienten Mut machen wird. Ich finde du machst das ganz, ganz großartig und möchte dir für deinen weiteren Weg und die auch für deine Familie das Allerbeste wünschen. Ich hoffe auf ein gesundes und schönes Wiedersehen.
Andrea Küke: Danke.

Awareness-Monat
Blutkrebs
Dieser Artikel ist ein Beitrag aus der Serie des Awareness-Monats „Blutkrebs“. Weitere spannende Interviews, Artikel und Talk-Sendungen finden Sie in der Übersicht zum Blutkrebs-Monat.
Transcript
Ganz herzlich willkommen zu 1 neuen Ausgabe von ein Gespru00e4ch im roten Sessel.Gleich sprechen wir mit Andrea, die im Alter von 41 Jahren die Diagnose 1 akuten myeloischen Leuku00e4mie erhielt.Dabei handelt es sich eine sehr ernst zu nehmende Erkrankung des blutbildenden Systems.Die gute Nachricht dabei ist, die Behandlungsmu00f6glichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark verbessert.Die Kinderkrankenschwester aus Ostwestfalen mu00f6chte heute unter anderem dem Pflegepersonal erzu00e4hlen, wie man sich auf der anderen Seite fu00fcgt.
Und dem Patienten mu00f6chte sie Mut machen, dass man sehr viel schaffen kann, wenn man nur ganz fest daran glaubt.Andreas Bruder konnte seine Stammzellen spenden und sie kann zuversichtlich sagen, Gott sei Dank geht es mir jetzt nach 1 langen Phase der Erholung wieder echt gut.Jetzt ist sie bei uns.Schu00f6n, dass Du da bist.Ganz herzlich willkommen, Andrea Ku00fcgel.
Ja, vielen Dank, dass ich kommen durfte und ich freue mich auf das Gespru00e4ch mit dir.
Andrea, wie hast Du gelebt, bevor es vor 2 Jahren zu der Diagnose Leuku00e4mie kam?
Ja, ich bin schon sehr zufrieden gewesen und einfach dankbar, meine Familie zu haben und mein Umfeld.Bin verheiratet, hab 3 Kinder, hab als Krankenschwester gearbeitet.Ich bin auch Heilpraktikerin.Ich hab mich manchmal dann selbst auch vergessen, mich mich zu ku00fcmmern, weil ich mich immer gut alle anderen geku00fcmmert habe.
Also der Tag hu00e4tte 48 Stunden statt 24 haben
Ja, hu00e4tte manchmal so sein ku00f6nnen in der Tat.Was
ist passiert?Wie kam's zur Diagnose Leuku00e4mie?
Also das war im Juni 2019, da hab ich innerhalb von anderthalb Wochen ku00f6rperlich total abgebaut.Ich bin immer schlapper geworden, ich konnte nicht mehr essen, mir fiel alles schwer.Ich hab viel aufm Sofa gelegen, geschlafen.Und dann hab ich zu meinem Mann gesagt, dass er mich ins Krankenhaus bringen muss, dass irgendwas so u00fcberhaupt nicht stimmt.Irgendwas muss da sein.
Ja, dann bin ich ins Krankenhaus gefahren.Da wurde mir Blut abgenommen und die Anamnese durchgefu00fchrt.Und die behandelnde u00c4rztin oder aufnehmende u00c4rztin, die musste dann in eine Besprechung und dann sau00df ich halt da und dann brachte die diensthabende Schwester schon immer Blutbefunde und hat die auf den Schreibtisch gelegt, veru00e4nderte Werte und ich konnte die auch problemlos deuten dadurch, dass ich ja Kinderkrankenschwester bin.Da hab ich schon gedacht, oje.Und dann bin ich auf das Zimmer gekommen und dann ist mein Mann nach Hause gefahren und eine halbe Stunde spu00e4ter stand dann der Onkologe im Zimmer und hat mir dann gesagt, dass ich an 1 myeloischen Leuku00e4mie leide, dass ich heute noch in ein anderes Krankenhaus verlegt werden mu00fcsste, dass ich heute noch eine Knochenmarkentnahme haben mu00fcsste und dass heute noch die Chemotherapie beginnen mu00fcsste.
Also ich sollte mich jetzt entscheiden, dann ku00f6nnt ich innerhalb von 1 Stunde in anderen Krankenhaus sein.Dafu00fcr hab ich mich dann entschieden und dann kam eine halbe Stunde spu00e4ter, nee, keine halbe Stunde spu00e4ter, kamen dann schon die Rettungssanitu00e4ter, mich abzuholen.In Schutzanzu00fcgen mit FFP 2 Maske haben die mich dann mit Einsatz in das nu00e4chste Krankenhaus gefallen, also eine Dreiviertelstunde.Also das konnte gar nicht richtig, also man hat keine oder ich hatte keine Zeit, das irgendwie zu realisieren.Ich hab gedacht, boah, komm ich jetzt noch mal nach Hause?
Was passiert jetzt?War's das jetzt?Was ist mit meinen Kindern?
Als ob dir dein Leben aus der Hand genommen wird?
Ja, total.Also im Rettungswagen musste ich dann auch einmal echt weinen.Ich hatte, muss ich auch sagen, ganz netten Rettungssanitu00e4ter, der bei mir sau00df und der wirklich auch getan hat, was der in soner Situation tun konnte.Also der war echt gut fu00fcr mich da, aber der war natu00fcrlich auch u00fcberfordert.
Jetzt bist Du ja Mensch mit sehr viel Bodenhaftung normalerweise im Leben, wie wir sehen.Du bist auch gerne barfuu00df und hast den Kontakt zum Boden.Hattest Du das Gefu00fchl, dass Du in dem Moment, als das alles aufm Tisch war und alles gesagt war und dass alles, der ganze Prozess ablief, dass Du die Bodenhaftung verloren hattest?
Ja, hatte ich tatsu00e4chlich einen Moment.Also ich hatte ganz lange Zeit keinen klaren Gedanken.Also ich glaube, das kam erst irgendwann nach der Transplantation, als ich wieder zu Hause angekommen bin.Vorher hatte ich keinen klaren Gedanken.Da sind die ganzen Hormone, also man ist immer in diesem Stressmodus und ich konnte gar nicht richtig runterfahren.
Oder es war vielleicht bisschen klarer, nachdem ich wusste, dass ich, also nachdem klar war, dass ich eine Stammzelltransplantation brauche und klar war, dass mein Bruder spenden konnte.Also
Wie schnell war das klar?
Also nach 6 Wochen ungefu00e4hr.War klar, dass ich siebzigprozentiges Ru00fcckfallrisiko habe, wenn ich mich nicht transplantieren lasse.Und die Leitlinien schlagen halt fu00fcr junge Menschen vor, da eine Knochenmark Transplantation oder eine allogene Stammzelltransplantation zu machen.Also das konnt ich alles gar nicht ihr
Das klingt nach Achterbahnwoche.
Ja, ich bin da auch nicht mehr hinterhergekommen mit meinen Gefu00fchlen und Emotionen und aber danach, als ich dann die zweite Chemo hinter mir hab und 2 Wochen zu Hause hatte vor der Transplantation, da hat sich das alles son bisschen gesetzt.Da konnte ich meinen Akku bisschen aufladen wieder.Und dann war fu00fcr mich klar, ich will das jetzt einfach also mu00f6glichst schnell und gut hinter mich bringen.
War fu00fcr deinen Bruder klar, dass er spendet?
Ja, das hat er sofort gesagt.
Wie ist die Beziehung zu deinem Bruder heute?
Ja, also wir haben ganz tolles Verhu00e4ltnis.Ich bin ihm auch wirklich aus tiefstem Herzen dankbar dafu00fcr, dass er das fu00fcr mich getan hat.Und ja, wir haben jetzt auch dieselbe Blutgruppe.Meine Blutgruppe hat sich geu00e4ndert.Ich reagiere auf Mu00fcckenstiche bisschen anders als vorher, so wie er jetzt.
Und letztens dacht ich auch, ich krieg bisschen Heuschnupfen.Also wir sind uns auch ku00f6rperlich u00e4hnlicher geworden vom Immunsystem her.
Wie wichtig schu00e4tzt Du die Situation ein, dass es Menschen gibt, die sich testen lassen und spenden?
Das ist unheimlich wichtig.Also das bedeutet ja fu00fcr jeden einzelnen Menschen das u00dcberleben, wenn es jemanden gibt, der spenden kann.Und also ich appelliere auch an alle, die die's ku00f6nnen, sich testen zu lassen, ob sie als Stammzellspender infrage kommen.Genauso wie ich an alle Menschen appelliere, die Blut spenden ku00f6nnen, Blut spenden zu gehen.Ich hab bestimmt 40 Blutkonserven bekommen in der ganzen Zeit.
Also wenn diese Menschen nicht losgegangen wu00e4ren zum Spenden, seh ich's ich jetzt auch nicht mehr hier.Also es ist in der Onkologie wirklich total wichtig, lebensrettend, dass es Blutspender gibt.
Dann kam irgendwann der Zeitpunkt, als Du ausm Krankenhaus entlassen wurdest?
Ja, die Zeit war noch einmal eine grou00dfe Herausforderung, weil bei der Transplantation war ich ja in sonem Isolationszimmer und war supergut geschu00fctzt vor allen Keimen.Alle, die reingekommen sind, die Hormonschutz getragen, Schutzkittelhaube, Handschuhe und jetzt musste ich dann in mein Umfeld, in mein normales.Die Blumen wurden alle rausgeru00e4umt und ich hatte auch keinen Kontakt zu unseren Tieren.Und erst mal durften keine anderen Kinder zu meinen Kindern kommen, weil einfach die Infektionsgefahr so hoch gewesen ist.Ja, und auch kru00e4ftemu00e4u00dfig ging da auch echt nicht viel.
Ich hab total viel abgenommen und dann fehlen einem fehlt einem natu00fcrlich auch Kraft.Also ich hatte 13 Kilo tatsu00e4chlich weniger als jetzt und das macht son Unterschied allein an die ku00f6rperliche Kraft, auch auch mental macht das ganz viel aus.
Wenn Du heute auf die letzten 22, 24 Monate zuru00fcckschaust von der Diagnose zu jetzt, was ist in der Erinnerung fu00fcr dich der aller-, allerschwerste Moment gewesen?
Der allerschwerste Moment ist gewesen, als ich Transplantation gegangen bin und mich von meinen Kindern verabschieden musste.Ja, hoffentlich geht das alles gut.
Wenn Du anderen, die diese Diagnose jetzt grade erhalten, Mut machen mu00f6chtest, wie wu00fcrde sich das anhu00f6ren?
Ja, ich wu00fcrde sagen, entscheidet euch fu00fcr das Leben und arbeitet mental.Das ist das, was ihr in der Hand habt.Stellt euch eure Zukunft gut vor.Ich hatte immer super Begleiterinnen, die mich da an die Hand genommen haben und die mir das immer wieder vor Augen gefu00fchrt haben.Ich hab auch Tagebuch gefu00fchrt.
Ich hab jeden Tag aufgeschrieben, wie ich mir meine Zukunft vorstelle.Also einfach sich fu00fcr das Leben zu entscheiden und fu00fcr die Zukunft und alles sich vor Augen fu00fchren, was man erreichen mu00f6chte.
Wo kam das Mutmachen von auu00dfen am stu00e4rksten?
Also mein Mann ist relativ offensiv mit der Diagnose umgegangen.Der hat auch wegen den Kindern war das schnell bekannt.Das erst hab ich gedacht, Aber andererseits war's ziemlich gut, weil ich auch sehr viel Zuspruch erhalten hab.Das das hat mich auch getragen.Es hat der Vater von Freund von meinem Sohn, der hat in Santiago de Compestella in der Kathedrale eine Kerze fu00fcr mich angemacht und das Foto geschickt.
Also das hat mich sehr beru00fchrt.Oder in in Berlin oder in Ku00f6ln oder eine Freundin hat in Holland eine Kerze fu00fcr mich angesteckt oder im Padaborner Dom ganz also das war total schu00f6n.Oder es sind auch Kontakte wiedergekommen, zum Beispiel zu 1 Kollegin, die ich ewig nicht gesehen hab.Wir haben uns komplett aus den Augen verloren und das das passt.Irgendwie war ich trotz dieser Erkrankung von guten Menschen, Gedanken, Wu00fcnschen umgeben.
Das hat mich sehr getragen.
Was mu00f6chtest Du anderen Neubetroffenen, Neudiagnostizierten mit auf den Weg geben?Mach ihnen ein wenig Mut.
Also entscheidet euch fu00fcr das Leben, mobilisiert alle eure Kru00e4fte und ihr habt noch viel mehr Kraft, als ihr denkt, dass ihr sie habt und entscheidet euch fu00fcr das Leben.
Jetzt hast Du gesagt, Du mu00f6chtest gern dem Pflegepersonal auch ein bisschen begreifbarer machen, wie es aussieht, wenn man auf der anderen Seite ist.Was aus deiner Sicht sollten die mehr im Fokus haben oder sehen?
Also das Pflegepersonal sollte empathischer noch mit den Patienten sein.Ich weiu00df, dass Pflegepersonal Mangel besteht und oft nicht so viel Zeit ist und dass viele Dinge ganz routiniert ablaufen.Aber wenn man auf der anderen Seite ist, im Bett liegt, dann hat das alles eine grou00dfe Bedeutung fu00fcr einen.
Welche Rolle hat deine Familie, aber auch deine Freundin wu00e4hrend deiner Krankheitszeit gespielt?
Ich Ich hab 3 gute Freundinnen, die mich wu00e4hrend der ganzen Zeit begleitet haben und meinen Mann natu00fcrlich.Die 4 waren halt immer bei mir.Wu00e4hrend der ersten Chemotherapie, das waren fu00fcnfeinhalb Wochen, glaub ich, da war ich wirklich nicht einen Tag alleine, die sich nicht zuru00fcckgezogen, obwohl sie's vielleicht manchmal gerne gemacht hu00e4tten, weil's fu00fcr sie bestimmt auch alle schwer zu ertragen gewesen ist, aber die waren immer da und dafu00fcr bin ich aus tiefstem Herzen dankbar.
Du hast ja auch Unterstu00fctzung bekommen durch eine Psychoonkologin.Wie wu00fcrdest Du diese Hilfe, diese Unterstu00fctzung bewerten?
Also die psychoonkologische Hilfe war sehr wertvoll fu00fcr mich.Es gab immer Momente, wo ich einfach jemanden gebraucht hab und wo es auch jemanden brauchte, der mich nicht kennt und mir nicht so nah ist, dem ich mich u00f6ffnen konnte, weil man mu00f6chte ja auch nicht alle seine Sorgen und u00c4ngste mit dem mit der Familie teilen oder mit den Freunden, weil man dem das ja auch nicht unbedingt zumuten mu00f6chte.Und also da gab's ganz viele Momente, da kam meine tolle Psychoonkologin, ich bin der so unglaublich dankbar, ins ins Zimmer und dann hat die mich angeguckt und dann kam schon alles aus mir raus.Also da musste ich echt dann dann weinen und dann war einfach Raum dafu00fcr da, dass ich weinen durfte.Und ich hab auch Tools an die Hand gekriegt, wie ich dann damit umgehen kann mit bestimmten Situationen, irgendwie wie ich mich aus Panikattacken raushole oder wie ich mich entspannen kann oder meine Gedanken mal bisschen ruhiger werden lasse.
Das war schon sehr, sehr wohltuend.
Wie wichtig ist es, bei 1 Krebserkrankung in diese mentale Balance zu kommen?
Also das ist sehr wichtig.Das ist das, was man ja auch als Patient tun kann.Zum Beispiel hab ich mir bei der ersten Chemotherapie Bild gemacht.Ich hab mir eine Fabrik vorgestellt, die ich in meinem Bauch hab.Und da sitzen Engel drin, die befeuern einen Ofen.
Der Ofen ist mit meiner Orta, mit der Hauptschlagader verbunden.Und die Chemotherapie, die kam, die wurde da gelagert in in Form von Briketts.Die waren so goldweiu00dflich glu00e4nzend.Und der Qualm, der da rauskam, das war pure Liebe und der ist durch meinen Ku00f6rper geflossen und hat alle Leuku00e4miezellen nicht getu00f6tet.Der hat die in Liebe umgewandelt, also dass die mir nichts Bu00f6ses mehr wollten.
Und das hab ich wirklich wu00e4hrend jeder Chemotherapie mir vorgestellt, mehrere Male am Tag.Und ich bin fest davon u00fcberzeugt, dass mir das auch geholfen hat, gesund zu werden, dass die Chemotherapie angeschlagen hat.
Wann hast Du zum ersten Mal gedacht, ich hab's geschafft?
Als ich die erste Knochenmarkpunktion hatte nach der Transplantation und da keine Leuku00e4miezellen drin waren, da hab ich gedacht, boah, geschafft.Und danach folgten im Abstand von 3 Monaten und bis jetzt immer noch Punktion, aber die waren alle okay.
Wie lebst Du heute, 24 Monate spu00e4ter?
Also heute, ich bin immer noch arbeitsunfu00e4hig, aber mir geht es gut.Ich kann wieder, Ich mache Yoga, ich gehe spazieren, ich schaffe 5, 6 Kilometer gut zu laufen, ich kann mit meinem Sohn im Garten Fuu00dfball spielen.Ich lese viel, ich mache Dinge, die mir guttun.Ich merke, dass ich auch versucht bin, wieder in son altes Muster reinzufallen, aber da erinnere ich mich dann dran.Oder Menschen in meinem Umfeld sagen dann, hey, pass mal besser auf dich auf wieder.
Und ich hab auch einige Werkzeuge jetzt einfach oder einige Dinge fu00fcr mich entdeckt, die mir guttun und die mir auch helfen, wenn ich mental nicht gut drauf bin, dass ich mich dann wieder erde.
Andrea, wir sind am Ende unseres Interviews angekommen.Ich mu00f6chte mich aufs Herzlichste bedanken, dass Du heute hier warst, dass Du deine Geschichte erzu00e4hlt hast, die sicherlich ganz vielen neu diagnostizierten Leuku00e4miepatienten Mut machen wird.Ich finde, Du machst das ganz, ganz grou00dfartig und mu00f6chte dir fu00fcr deinen weiteren Weg und natu00fcrlich auch deiner Familie das Allerbeste wu00fcnschen.Auf ein gesundes, schu00f6nes Wiedersehen.
Danke.
- person Andrea Küke
- coronavirus Leukämie (akut)
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