Diagnosegespräch: 30% Überlebenschance
Kraft sammeln und das Leben selbst bestimmen!
Wie es ist, wenn die Diagnose „Keimzelltumor“ die Karriere- und Familienpläne durchkreuzt? Dies beschreibt der Augenoptiker und Hobby-Fußballer Thomas Götz. Im Alter von 23 Jahren erhielt er die Diagnose der seltenen aber bösartigen Krebserkrankung, die normalerweise als Hodenkrebs auftritt. – Nicht so bei Thomas Götz: Bei ihm wurde der Tumor von 20 cm Größe im Bauchraum entdeckt.
Als einer von 2 Millionen CancerSurvivor ist er wieder mitten im Leben angekommen und gilt als geheilt. Den existenziellen Einschnitt in sein damals junges und unbekümmertes Leben beschreibt er im Interview mit Stephan Pregizer wie folgt: „Ich war anfangs ziemlich naiv im Umgang und in der Betrachtung meiner Situation.” Die Ärzte sprachen von einer 30-prozentigen Überlebenschance. Thomas berichtet von seinem persönlichen Reifungsprozess, den er in jungen Jahren durchlaufen musste.
Das Interview zum Nachlesen
Wir freuen uns sehr, Ihnen heute wieder eine beeindruckende Persönlichkeit, einen CancerSurvivor vorstellen zu dürfen. Es ist ein junger Mann der 2011 im Alter von 23 Jahren an einem bösartigen Keimzelltumor erkrankt ist, diese Krankheit überstanden hat und mittlerweile wieder im Leben angekommen ist. Den existenziellen Lebenseinschnitt von damals, hat er uns wie folgt beschrieben. “Ich war anfangs ziemlich naiv im Umgang und in der Betrachtung meiner Situation. Ich dachte es wird ein Absitzen der Krankheit, bis ich nach der Chemotherapie wieder aus dem Krankenhaus spazieren kann. Dann wurde mir ziemlich schonungslos klar, dass es doch auch ungünstig ausgehen könnte. Der Arzt sagte damals: Wenn es nicht gut läuft, wird Ihre Zeit begrenzt. Sie haben eine 30 prozentige Überlebenschance, wenn vom Tumor nicht alles entfernt werden kann. Das war ein ziemlicher Wachmacher.” Er hat diese schwere Zeit überlebt, spielt mittlerweile wieder Fußball und hat Spaß an seinem Beruf als Augenoptiker.
Moderator: Herzlich Willkommen, Thomas Götz. Thomas, schön dich heute hier zu haben. Sei so lieb, erzähl uns doch bitte deine Geschichte. Wie war dein Leben vor der Krebserkrankung?
Thomas Götz: Ich wohne in einem 2000-Seelen Dörfchen im Schwabenland. Jagstzell heißt das Dorf. Mit 4 älteren Schwestern. Ich spiele Fußball und dabei habe ich gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt.
Moderator: Wie hat sich die Krankheit bemerkbar gemacht? Wie hast du gemerkt, es stimmt was nicht?
Thomas Götz: Es war so, dass ich während des Training oder während dem Spiel hatte ich ein bisschen Probleme mit der Luft. Hab mir nichts weiter dabei gedacht, war dann beim Arzt. Er hat mir dann Blut abgenommen, hat mich dann aber Gott sei Dank noch ins nächste Krankenhaus überschrieben und da ein Röntgenbild verordnen lassen. Worauf man dann einen Schatten sehen konnte.
Moderator: Wo hat sich dieser Schatten befunden?
Thomas Götz: Der war in meinem Brustkorb. Unterhalb von meinem Brustkorb. So groß, dass er quasi die rechte Lungenhälfte zerdrückt hat. Am Schluss waren es ungefähr 20 cm Größe, die der erreicht hatte.
Moderator: Thomas, kannst du dich erinnern, was deine allererste Reaktion darauf war, als du diese Diagnose “Krebs” erhalten hast?
Thomas Götz: Die Ärztin kam ins Zimmer und ich saß auf dem Bett. Sie hat mir die Diagnose gesagt, dann hab ich erstmal gedacht, das müsste eigentlich ein Traum sein. Das ist eigentlich alles so unwahr, so unrealistisch. Ich hatte eigentlich doch nur Husten, mehr hab ich doch gar nicht gehabt. Mit der Diagnose konnte ich im ersten Augenblick auf gar keinen Fall was anfangen. Das ist für einen jungen Kerl mit 23 Jahren schon hart zu hören, wo man eigentlich mit gar nichts Schlimmem rechnet. Wenn die Leute sagen, ich hatte Krebs dann sag ich: Nein, ich hatte einen Tumor in mir. Es klingt für mich, um das zu verarbeiten angenehmer, als zu sagen “ich hatte Krebs”. Ich hatte einfach nur ein Gewebe in mir, das da nicht hingehörte.
Moderator: Welche Träume wurden durch die Krankheit auf Eis gelegt und welche haben dir Kraft gegeben nach vorne zu gucken?
Thomas Götz: Ich wollte karrieremäßig durchstarten, wie man als junger Mann das tun möchte. Natürlich auch durch die Chemo, ist es mit der Fortpflanzung auch nicht mehr so nah.
Moderator: Das haben dir die Ärzte gesagt?
Thomas Götz: Genau, dass es mit Kinder zeugen höchstwahrscheinlich nicht mehr klappen wird. Wenn man seit 8 Jahren mit seiner Freundin zusammen ist und man ein grobes Bild von der Zukunft vor sich hat, ist das ein Schlag ins Gesicht.
Moderator: Du hast eine sehr seltene Krebserkrankung gehabt: Keimzelltumor. Was ist das genau?
Thomas Götz: Schwierig zu sagen. Die meisten dieser Tumore kommen häufiger in den Genitalien vor. Was bei mir das Ganze außergewöhnlich gemacht hat: Er kam halt nicht da vor, sondern im Brustkorbbereich. Und grade auch noch in diesem Ausmaß, dieser Größe von über 20 cm. Und durch das schnelle Wachsen. Er ist innerhalb von 6 – 8 Wochen dementsprechend groß gewachsen.
Moderator: Die Diagnose muss dir doch die Füße weggezogen haben. Mittendrin im Leben, gerade mal 23 Jahre alt. Was hat dir Kraft gegeben wieder aufzustehen?
Thomas Götz: Ich hatte keine andere Mal. Mit der Situation musste ich mich beschäftigen und dann musste ich mir irgendwie einen Plan fassen, was ich denn von mir erwarte, was ich von der Krankheit erwarte und wie ich mit ihr umzugehen hab.
Moderator: Wie war die Reaktion von deiner Familie, von deiner Freundin? Hast du eine Veränderung bei ihnen festgestellt in der Zeit?
Thomas Götz: Die waren viel kämpferischer drauf, viel motivierender. Die haben mir jeden Tag Essen ins Krankenhaus gefahren. Jeden Tag war jemand da, der mir was gebracht hat. Zu keiner Zeit sind zu viele Tränen geflossen, dass die mich angesteckt hätten mit Schwäche. Im Gegenteil! Also das war wie eine Wand.
Moderator: Was haben die Ärzte dir gesagt im Bezug auf eine erfolgreiche Therapie?
Thomas Götz: Mein damaliger Arzt war dann Gott sei Dank der Meinung, dass man mich erst durch eine Chemo schicken sollte, um so wenigstens die Chance zu haben den Tumor, das Gewebe, abzutöten.
Moderator: Welche Prognose haben dir die Ärzte vor der OP gegeben?
Thomas Götz: Sollte man den Tumor nicht komplett rausbekommen, sollte noch dieses entscheidende Teil drin sein, das sich entschließt doch weiter zu wachsen, hat mein Arzt mir damals 30 Prozent Überlebenschance gegeben.
Moderator: Wie integriert man 30 Prozent Überlebenschance in sein Bewusstsein?
Thomas Götz: Sehr schwer, sehr schwer. Also 30 Prozent… Man rechnet mit 100 Prozent, generell im Leben. Aber 30 Prozent ist weniger als 50/50 und 50/50 ist schon relativ gering. Da war für mich der Zeitpunkt da, wo ich dachte, es könnte auch böse ausgehen. Vielleicht war das der nötige Wachmacher um nochmal alles zu mobilisieren. Man kann ja nicht viel machen, trotzdem den Kampf annehmen und gucken, dass man doch mehr als 30 Prozent irgendwie hinkriegst.
Moderator: Konntest du Anleihen vom Sport nehmen?
Thomas Götz: Sport, war in meinem Leben schon immer omnipräsent. Also vielleicht war das gut, dass ich Sportarten im Zweikampf gemacht habe, dass ich diesen Zweikampf auch aufnehmen konnte.
Moderator: Und dann kam die OP.
Thomas Götz: Genau. Das war ein großer Eingriff, den Brustkorb öffnen. Die ganzen Vorgespräche waren drastisch.
Moderator: Was haben die Ärzte gesagt, als sie direkt nach der Operation zu dir ins Krankenzimmer gekommen sind?
Thomas Götz: Das Schöne war, sie hatten ein kleines Lächeln auf dem Mund. Das hat mir schon Freude entgegengebracht. Die haben mir gratuliert. Ich glaub die haben sich selbst auch auf die Schulter geklopft aber die haben mir gratuliert, dass sie alles großflächig rausgebracht haben.
Moderator: Wie war die Reaktion von deiner Freundin und deiner Familie?
Thomas Götz: Die waren erleichtert, wie sie es noch nie zuvor waren. Tränen hab ich gesehen, Freudentränen. Eine Erleichterung lag in der Luft. Es war schön in dem Moment. Die Nachricht “alles gut” plus Familie an der Seite, am Bett, das war sehr emotional.
Moderator: Jetzt kommt man in einer Situation wie du, mit 23 Jahren, und wird mit der eigenen Zerbrechlichkeit konfrontiert. Ist das ein vorgezogener Reifungsprozess, den du da durchgemacht hast?
Thomas Götz: Ein unschöner, aber es ist schon ein Reifungsprozess. Man nimmt Dinge nicht mehr so ernst. Man bleibt lockerer, in gewissen Situationen, bleibt ruhiger. Es spielen andere Werte eine größere Rolle im Leben.
Moderator: Konntest du von Anfang an gut über die Krankheit sprechen?
Thomas Götz: Ich bin generell so ein Typ, der zuerst selber damit zurecht kommen muss und das verarbeiten muss. Es klingt egoistisch, aber es ist meine Sache, mit der muss ich zurecht kommen. Da waren schon manche verwundert, dass ich nicht mit einem Psychologen oder Pfarrer oder Familienmitglied drüber sprechen wollte.
Moderator: Warum hast du heute für dieses Interview genau dieses Lokal ausgesucht?
Thomas Götz: Ich liebe italienisch zu Essen. Das ist für das leibliche Wohl wichtig. Und deswegen gibt’s nichts Schöneres, als mit Freunden zu sitzen, einfach mal Pizza zu essen und was Gutes zu Trinken. Einfach mal reden über gute Zeiten, die ja noch vor einem stehen.
Moderator: Hast du denn im Krankenhaus schon wieder ans Fußballspielen gedacht?
Thomas Götz: Nachdem die Operation hinter mir war, ja. Es war schon das Ziel meinen Körper wieder auf Vordermann zu bringen. Ich sah aus wie ein Strich in der Landschaft, sagt man so. Das mochte ich an mir nicht. Deswegen wollte ich so schnell wie möglich wieder Kraft sammeln um wieder zurück auf den Sportplatz zu kommen. Um wieder in das gewohnte Umfeld reinzukommen.
Moderator: Wie war das, als du zum ersten Mal deine Fußballschuhe wieder angezogen hattest und auf dem Platz gestanden bist?
Thomas Götz: Ich weiß ganz genau, es war noch leicht Winter, leicht Schnee lag noch auf dem Platz und die ersten paar Runden Laufen, eigentlich nur um die Lunge wieder voll zu kriegen. Wie es ist kalte, frische Luft einzuatmen und wieder auszuatmen ohne Schmerzen, ohne Husten. Das war einfach nur ein tolles Gefühl mal nicht im Krankenbett zu liegen, sondern einfach auf dem Platz ein paar Runden zu drehen.
Moderator: Warum hast du dich entschieden, uns heute dieses Interview zu geben und deine Geschichte öffentlich zu machen?
Thomas Götz: Dadurch, dass es jetzt 5 Jahre her ist, dass ich diesen Tumor in mir hatte, sind wir jetzt in dem zeitlichen Bereich, wo man sagt ich bin geheilt. Vielleicht kann ich auch Leuten sagen, dass es schon wird, quasi. Dass man den Kampf nie aufgeben soll.
Moderator: Hast du während deiner Erkrankung mal in den Spiegel geschaut und es hat jemand anderes zurück geguckt?
Thomas Götz: Das war kurz nachdem ich mich von der Chemo übergeben musste, da hab ich mich im Spiegel angeschaut und sah den abgemagerten Buben vor mir. Ich hab mir in die Augen geschaut und gesagt “So nicht!”. Also so ein elendes Bild, was ich da im Spiegel gesehen habe, das ging so nicht mehr weiter. Ich weiß noch ganz genau, wo und wie das war. Ich hab mir in die Augen geschaut, ich konnte ziemlich tief reinschauen und seit diesem Zeitpunkt, war es für mich klar: Ohne mein Bestes zu geben, gehe ich hier nicht raus. Das war der Moment, der für mich den Schalter umgelegt hat, wo ich gesagt hab “bring it on, ich pack das!”.
Moderator: Wie lautet das Lebensmotto von Thomas Götz?
Thomas Götz: Man muss immer kämpfen. Egal wie, egal mit was, mit wem. Kämpfen bedeutet für mich, sich mit etwas auseinandersetzen, auch mit etwas Unschönem was man nicht so gerne hat. Ich gehe straight durch und nehme das an.
Moderator: Was macht für dich einen CancerSurvivor aus?
Thomas Götz: Für mich spielt die Einstellung zu Situationen eine Rolle. Jemand, der vielleicht noch 10, 15 Jahre vor sich hat, wie geht der mit seinem Leben um? Lässt er sich durch die Krankheit beeinflussen und sein Leben bestimmen? Oder bestimmt er trotz seiner Krankheit sein Leben? Für mich ist ein CancerSurvivor jemand, der die Situation annimmt wie sie ist und trotzdem das Bestmögliche aus seinem Leben macht.
Moderator: In der Rückbetrachtung, wer waren in der gesamten Zeit die wichtigsten Menschen um dich?
Thomas Götz: Da gibt’s 3 Gruppen: einmal natürlich meine Familie. Dann mein Arzt, der die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Und natürlich auch meine Freundin, die zu der Zeit ein Masterstudium in Freiburg gemacht hat und so oft wie möglich in den Zug gestiegen ist. Trotzdem ihr Studium mit Bravour gemeistert hat und mir trotzdem Mut zugesprochen hat.
Moderator: Ich muss nicht fragen, ob euch die Situation zusammengeschweißt hat.
Thomas Götz: Nein, das brauchst du nicht fragen.
Moderator: Thomas, ich möchte mich ganz herzlich bedanken für dieses sehr offene und persönliche Gespräch, das wir führen durften. Ich wünsche dir von Herzen das Allerbeste. Dankeschön.
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