Karriereweg mit Stolpersteinen
Janina Seifert hat ein facettenreiches Leben. Die studierte Hamburgerin arbeitet in der Personalentwicklung eines mittelständischen Maschinenbauunternehmen. Sie ist beruflich sehr viel unterwegs – und auch privat, denn sie liebt das Reisen in der ganzen Welt – sie hat viel davon gesehen und entdeckt. Gefunden hat Janina auf Ihren Reisen auch ihren zukünftigen Mann.
Die damals 32-jährige ist ein Organisationstalent und mag lange und gute Planungen. Was sich allerdings mit der Zeit als immer schwieriger und unkontrollierbarer herausstellte, war ihr gesundheitlicher Zustand. Die Beschwerden ließen irgendwann die Planung eines normalen Alltags nicht mehr zu, sodass selbst ihr Chef Janina irgendwann zum Arzt schickte. Nach einigen diagnostischen Untersuchungen stellte sich heraus, dass die junge Frau einen großen Tumor im Kopf hatte. Janinas erste Gedanken sind nachvollziehbar: „Das wird meinen Tod bedeuten.“ Der Wunsch nach Karriere verlor sich in der Nebensächlichkeit.
Die schnell anberaumte Operation im Kopf lief erfolgreich. In der Hoffnung, jetzt alles hinter sich zu haben, kam für Janina und ihre Familie jedoch der nächste Tiefschlag: Der Tumor im Kopf war durch etwas anderes, irgendwo in ihrem Körper ausgelöst. Nach weiteren Untersuchungen war dann klar: Diagnose NET – Neuroendokrine Tumoren.
Janina versucht, immer stark zu sein, auch wenn das häufig sehr schwerfällt. Denn durch die Therapien leidet sie mittlerweile an Fatigue, einem Erschöpfungssyndrom. Wie sie damit lebt und welchen Umgang sie mit zahlreichen weiteren Herausforderungen des Alltags gefunden hat, erzählt sie Stephan Pregizer in einem fokussierten und gleichermaßen beeindruckenden Interview beim „Gespräch im Roten Sessel“.
Das Interview zum Nachlesen
Wie hast du vor der Krebsdiagnose gelebt?
Mein Leben war auf jeden Fall facettenreich. Ich habe im Norden Hamburgs gelebt, mit meinem Verlobten. Ich habe jahrelang studiert. Ich habe immer Ziele gehabt, bin von einem befristeten Arbeitsverhältnis ins ein unbefristetes gekommen. Ich habe mein Studium erfolgreich abgeschlossen, ich habe viel gearbeitet, war viel unterwegs und es hat sich alles leicht angefühlt.
Bist du in der Arbeit oft an oder über die Grenzen gekommen?
Oft an die Grenzen? Ja, das war auch so mein Motto, ich wollte die Grenzen auch testen.
Reisen war dein Hobby: Erzähl uns ein wenig darüber.
Ich mochte es auch während der Geschäftsreisen viel zu sehen und Reise war auch davor immer ein wichtiger Teil. Also es hat mich nicht abgeschreckt, auch privat viel zu reisen, obwohl ich geschäftlich schon viel unterwegs war.
Wie hast du deinen Mann kennengelernt?
Meine heutige beste Freundin ging nach LA, hat dort ein Praktikum gemacht. Ich habe sie dort besucht und gleich am ersten Tag habe ich meinen zukünftigen Mann kennengelernt.
Was führte dich zu den Ärzten?
Ich hatte monatelang Beschwerden in Form von Übelkeit. Dann folgt ein ganz starker Migräneanfall. Ja, und irgendwann war es so schlimm, dass ich motorische Einschränkungen hatte, also mir fiel das Gehen schwer. Mein Chef wusste schon immer gar nicht mehr, wie er mich morgens ansprechen soll. Ich bin ja immer arbeiten gegangen, außer es war sehr schlimm und der hat gesagt: Geh zum Arzt. Und der Hausarzt hat dann gesagt okay, wir machen ein Kopf-MRT und dann bin ich am gleichen Tag in die Röhre gegangen.
Wie kam es zur präzisen Diagnose?
Also ich war am Mittwoch im MRT. Am Donnerstagabend hat mir der Hausarzt gesagt, dass da etwas ist, was da nicht hingehört. Er hat mir den Befund überreicht und da stand die Vermutung „Astrozytom“. Und diesen Befund habe ich dann auf dem Zettel mit nach Hause bekommen. Da standen natürlich ganz viele Sachen drauf, mit denen ich gar nichts anfangen konnte. Und ich habe dieses Blatt Papier gelesen und – was man vielleicht nicht machen sollte – gegoogelt. Und ich dachte okay, wenn das schon die Größe hat, das wird meinen Tod bedeuten.
Welche Tumorgröße war beschrieben?
Sechs mal 4,5 Zentimeter. Das Leben ist von jetzt auf gleich ein anderes. Was mache ich jetzt? Werde ich jetzt sterben? Das sind Fragen, die man sich stellt.
Wie ging es im Krankenhaus weiter?
Am Morgen der OP – ich war die Erste – Montagmorgen. Ich habe eigentlich den ganzen Morgen damit verbracht, zu mir selbst zu sagen „Geist über Körper“. Das war so fest verankert in mir, dass der Anästhesist, der mit mir ins Gespräch kam und sehr interessiert war, gesagt hat: „…das sie noch so ruhig sind“ und ich: „Ja, ich versuche das gerade komplett auszublenden.“
Welche Gedanken hattest du nach der Gehirn-OP?
Die Hoffnung war da, natürlich, und man funktioniert ja auch nur. Donnerstags kam der pathologische Befund, der dann klar machte, es ist nicht alles vorbei, sondern eigentlich fängt es an und das war ein ziemlicher Rückschlag. Also es war kein hirneigener Tumor. Und jetzt muss erst mal geguckt werden, wo kommt das Ganze her? Und dass ich Krebs habe und dann folgten Untersuchungen…
Wie hast du die lange Ungewissheit ausgehalten?
Ja, natürlich möchte man irgendwas hören. Also man möchte nicht nach CT und MRT und PET-CT hören: Wir sehen nichts, aber da müsste was sein. Und so ist der Zustand ja heute auch noch. Über zwei Jahre später.
Wie kam es zu der präzisen Diagnose NET?
Dadurch, dass der Tumor in der Pathologie ja auseinandergenommen wird, war das ziemlich eindeutig. Ich glaube, jeder hat irgendwie mal von Brustkrebs und anderen häufig vorkommenden Krebsarten gehört, aber Neuroendokrine Tumoren, das habe ich noch nie gehört und das war auch zu Anfang ein total fremdes Krankheitsbild für mich. Im Prinzip können die überall vorkommen im Körper, wo man endokrine Zellen hat. Und bei mir war es im Kopf als Metastase. Und es gibt verschiedene Stadien bei anderen Krebsarten auch.
Was waren deine Gedanken, wie es weitergehen würde?
Also eigentlich dachte ich, es geht so weiter, wie es aufgehört hat. Und das hat dann später erst angefangen, dass ich gemerkt habe, okay, es wird nicht so weitergehen und es kann auch nicht so weitergehen, sondern ich muss mich neu ausrichten. Also ich wurde ja noch bestrahlt, Ich habe noch eine Metastasen-Bestrahlung bekommen und war dann vier Wochen in einer Anschlussheilbehandlung und war dann so langsam zu Hause angekommen und dann ging das mit der Fatigue los und da habe ich gemerkt, okay, so wie ich vorher gearbeitet und gelebt habe, das wird nicht mehr funktionieren.
Was ist Fatigue und woher kommt sie?
Es ist eine Folgeerscheinung der Bestrahlung, die ich bekommen habe. Fatigue muss man sich so vorstellen: Egal wie viel und wie qualitativ gut ich schlafe, bin ich permanent müde und eingeschränkt dadurch, teilweise so stark, dass ich Gelenkschmerzen bekomme und gucken muss, wie ich durch den Tag komme. Momentan überspiele ich das häufig mit Kaffee. Ja, ich weiß, das hilft nicht gegen die Fatigue an sich, sondern es überspielt nur die Symptomatik. Aber es gibt mir ein bisschen Planungssicherheit.
Du bist eine strahlende Frau. Hörst du oft Zweifel an deinem Gesundheitszustand?
Ja, oft. Zum Glück nicht so von Menschen, die eng bei mir sind, weil die meine Situation kennen, aber komischerweise viel von Ärzten. Und das verunsichert, weil man teilweise das Gefühl hat, man wird nicht ernst genommen. Nur weil ich äußerlich gut aussehe, spiegelt das nicht unbedingt das wieder, was auch in mir ist. Wie will man Worte für etwas finden oder sie sagen, wenn man teilweise selbst nicht versteht, was mit einem passiert und warum das so anders ist? Warum man sich so anders anfühlt? Also früher habe ich gemerkt, ich arbeite viel und bin deswegen kaputt. Jetzt tue ich im Gegensatz zu meinem früheren Leben sehr wenig oder andere Dinge und bin kaputter als früher, ermüdeter.
Wann war dein Moment des „zurück im Leben“?
…ins neue Leben:. Eigentlich, als unser Hund in unser Leben trat, muss ich wirklich sagen. Denn vor der Anschlussheilbehandlung habe ich meinen Mann noch gefragt: Wie wäre es denn mit einem Hund? Wenn nicht jetzt, wann dann? Weil mir war klar, selbst wenn ich ins Berufsleben zurückkehre: Nicht so wie vorher, sondern ich bestimme, wie das auszusehen hat. Und auch, dass ich das Reisen reduzieren werde. Und der Traum vom Hund war immer da, und da hat sich das Leben eigentlich verändert. Ich habe einen neuen Fokus bekommen und unser Hund ist mein Therapeut auf vier Pfoten.
Welche Kraft beziehst du durch deinen Hund?
Also es gibt mir auf jeden Fall die Kraft, nicht so viel über mich selbst nachzudenken, sondern den Fokus auf sie und uns zu haben, als – ich nenne es mal kleine Familie – und ja, auch jeden Tag, wenn ich mal einen schlechten Tag habe, möchte sie ja ihre Spaziergänge haben. Und so anstrengend es auch häufig für mich ist, ist es auch gut, das Gefühl zu haben, dass Tiere auch immer wissen, wie es einem geht und nie allein zu sein und seinen Fokus zu verändern. Nach so vielen Jahren zu sagen Jetzt bin ich dran, und was möchte ich eigentlich vom Leben?
Dein Leben beschreibst du nun als ein ganz anderes…
Man hat nur dieses eine Leben und ganz ehrlich, am Ende dankt es einem auch niemand, wie viel man sich aufopfert und wie viel man arbeitet und durch die Welt jettet. Und Geld ist auch nur Geld. Und erst mal, wenn man so ein Schicksalsschlag erlebt, dann merkt man, dass alles andere unwichtig ist und dass eigentlich nur das zählt, was einen tagtäglich begleitet und das Leben lebenswerter macht. Und die Arbeit ist da, um zu leben. Aber ich lebe nicht, um zu arbeiten. Und dieser Fokus hat sich auf jeden Fall verändert. Ich habe mal so einen Spruch gelesen und ich fand ihn so passend: Jeder Mensch hat zwei Leben, aber das zweite beginnt erst, wenn man weiß, dass man nur eins hat. Und das trifft es eigentlich genau. Und diese Lebensfreude, die vorher schon da war, die ist jetzt auch da, aber anders. Also man, man genießt Dinge anders.
Was vermisst du aus dem alten Leben?
Also, ich muss viele Dinge absagen, wenn ich sehr schlimme Phasen habe, auf jeden Fall. Und das heißt, ich musste mich auch in meinem eigentlich sehr sozialen Wesen anpassen. Ich war immer gerne umgeben von vielen Leuten, ich muss lernen, dass ich das nicht mehr so kann, also diese Interaktion mit vielen Menschen mich anstrengt und wie ich damit umgehe, und auch ein Level zu finden.
Früher warst du durchgetaktet. Jetzt bist du mit einem Camper unterwegs. Was ist da anders?
Die Freiheit. Also wir können theoretisch diesen Wohnwagen an unser Auto hängen und immer losfahren, egal wohin. Fürs Wochenende einfach nur mal 20 Kilometer weiter und man hat gleich einen Tapetenwechsel. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass ich mit meinen Kräften so haushalten muss. Also ich bin gerne spontan, aber planen tue ich auch noch gerne, muss aber immer offen dafür sein, dass es nicht immer so klappt, wie es plane.
Ist es heute ein Leben „mit“ oder „nach“ Krebs?
Auch das ist tagesabhängig. Also gefühlt ist der Krebs hinter mir, also die Geschichte habe ich durchlebt und ich habe sie überlebt und überstanden. Aber natürlich ist diese Unsicherheit, gerade die Ärzte einem geben, dass da noch etwas sein muss, immer da. Und mittlerweile gehe ich in diese Kontrollen rein und habe ein gutes Gefühl und sagt mir, ich glaube, es wird gut und es ist gut. Und daran halte ich fest, solange es so ist.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Noch ein bisschen mehr Unbeschwertheit zurück. – Das wird einem schon genommen, dass man immer, wenn man irgendwas spürt, irgendetwas hat, gleich an was Schlimmes denkt, obwohl man ein Mensch ist wie vorher auch, der mal Kopfschmerzen bekommt oder andere Beschwerden hat, dass ich das besser abgrenzen kann. Und ich wünsche mir natürlich, dass ich einen Weg für mich finde, beruflich, der zu mir passt und zu meinem neuen Ich passt. Und ich bin mir aber auch klar, dass ich mir da Zeit geben muss und dass ich die Zeit auch nutzen möchte und dass die Erschöpfung hoffentlich weniger wird, damit ich diesen Weg finden kann.
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